Mutter - Der Traum vom Anderssein
Die eigene GesellschaftVÖ: 24.03.2017
Du musst dein Ändern leben
Meist sind die Beipackzettel einer Albumveröffentlichung zu vernachlässigen. Erstmal herausgefriemelt, ist noch zu lesen, wer produziert hat oder wo aufgenommen wurde, dann drücken die vielen Bonmots aneinander, bis der Wortballon platzt. Lieber in den Papierkorb knüllen. Anders ist es bei Mutter, mit einem von Tex Rubinowitz verfassten Geleitwort. Obwohl Freundschaftsdienst, denkt man, weiß man, liest man dort gerne Sätze wie: "Im Jenseits gibt's keinen Anfang und kein Ende, keine Antworten, weil es keine Fragen gibt. Gott gibt die Nüsse, aber knacken müsst ihr sie selbst." Und da Mutter eine Band ist und nicht als Detailhandels-Fachmänner am Schalenobstkorb stehen, reichen sie eben eine neue Platte. Die heißt "Der Traum vom Anderssein". Sie knackt alles.
Alles zu wollen, braucht schonmal nichts zu bedeuten, gerade bei Mutter. "Glauben nicht wissen" zieht schiefen, rückgekoppelten Krach aus den Verstärkern: dringlich, dröhnend, rabiat. Ein schneller Punk-Rhythmus klopft vorwärts, derlei fräsen sonst am ehesten noch Einstürzende Neubauten oder einige der jüngeren Noisebands aus dem Schwabenland. Solch ein Lärm-Gedöns verkommt dann häufig zu marginaler Garstigkeit. Nicht jedoch bei Mutter. Die agieren behände mit Doppeldeutereien. Das ist wie bei Meßmers Momenten – einige verstehen darunter Teebeutel, andere die geschabten Sentenzen eines Martin Walser. Gewissheit? Nein, dafür "Menschen werden alt und sterben dann". Eine triviale Binse, aus der Mutter allerdings eine achteinhalbminütige Tirade rupfen, gejauchzt und verdorben, mit Bums und Polterbass.
"Der Traum vom Anderssein" ist als Ganzes der nächste Beleg für die Eigenheit von Mutter. Etwa, wenn sie aus Schönheit in Schnörkeln "So bist Du" formen, einen derart wundersamen Song. Anfangs hypnotisiert er tröstlich, schubst dann wieder in den grauen Tag hinaus, sodass diese drei Worte, irrt man wieder ziellos umher, jedem an den Kopf geworfen gehören, der sich entgegen bahnt: "So bist du, so bist du, so bist du." Max Müller wiegt seine Worte pingelig ab, feilt sie auseinander, bis sie einfach und schlicht die ganze Welt bedeuten können. Mutter haben, da hat Rubinowitz Recht, keine Antworten, aber antwortlose Mütter lassen eben in Lebenskrisen stürzen, die auch nur wieder läutern.
"Was soll denn jetzt noch passieren? Gesehen hat man alles" kurvt die Stimme über "Glorie". Der Song klammert sich an eine schlichte Figur aus Klavierakkorden, drumherum werden Synthesizer und die scharfe E-Gitarre verrückt. Klang-Ekstasen für sensible Lärm-Fetischisten. "Der Traum vom Anderssein" ist womöglich die stilkonfuseste Mutter-Platte. Industrial zermatscht "Geh", der Vocoder verschlüsselt "Kravmann", Indiepop versüßt "Fremd", bevor das Stück sich raubeinig auflöst. Wer unter allem, was hierzulande klangklamüsert wird, derart verschieden klingt, muss nicht mehr vom Anderssein träumen.
Highlights & Tracklist
Highlights
- So bist Du
- Glorie
- Fremd
Tracklist
- Glauben nicht wissen
- Menschen werden alt und dann sterben sie
- So bist Du
- Der Traum vom Anderssein
- Glorie
- Fremd
- Geh
- Kravmann
Im Forum kommentieren
Krabbe
2017-03-28 19:43:17
Ein Monolith der gepflegten Unterhaltungsmusik dessen wahrer wert hoffentlich nicht erst entdeckt wird wenn wir schon alle kompostiert sind . Ab und zu gibt es diese Musik in der mehr steckt als nur die Summe der Instrumente
Plattenbeau
2017-03-19 11:15:12
Einen Song habe ich gefunden. Ziemlich cool eigentlich.
https://www.youtube.com/watch?v=gysFuVKkgLg
Pole
2017-03-16 06:19:00
Kann man sich irgendwo einen Song vorab anhören? Habe leider nichts gefunden. Gekauft wird natürlich in jedem Fall :-)
Armin
2017-03-15 17:24:24- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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