Priests - Nothing feels natural

Sister Polygon
VÖ: 27.01.2017
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

No more pussytalk

Es ist der 21. Januar 2017. Hunderttausende Frauen protestieren mit pinken Strickmützen auf dem Kopf in Washington D.C. gegen die Amtseinführung von Du-weißt-schon-wem, entflammen so die Feminismus-Debatte, und schon wenige Tage später bekommen auch deutsche Frauen die Gelegenheit, sich dem neuesten Trend anzuschließen und mit der Brigitte-Anleitung einen eigenen Pussyhat zu stricken. Die Aktion selbst gerät trotz des großen Anhangs in teils skurrile Kritik. Protest sei das Zeichen von schlechten Verlierern, das Auftreten zu missionarisch, das Wort "Pussy" dürfe man nicht benutzen, die pinke Farbe der Mütze würde alle Frauen ausschließen, deren Vulva nicht ebenfalls pink ist oder die gar keine Vulva haben. Die bislang nicht übermäßig bekannte Katie Alice Greer verteidigt das Pussyhat-Projekt, nimmt aber auch alle anderen Strömungen mit ins Boot. Ob lesbisch, schwul, schwarz oder weiß, sozialer Außenseiter, queer, Cis- oder Transgender: Auf die Unterstützung der jungen Sängerin der Band Priests darf man zählen. Eine sympathische Dame, vielleicht mit Hippie-Blümchen im Haar, stellt man sich da vor. "Please don't make me be / Someone with no sympathy", ertönt es jedoch immer und immer wieder im Schluss-Track "Suck" des nun herausgekommenen Debüt-Albums. Und wie brachial diese ach so nett scheinende Frau all ihrer Sympathie beraubt wirklich klingt, durfte man sich bis dahin auf "Nothing feels natural" anhören.

"You are not you", schreit einem Greer im geradlinig-punkigen "Appropriate" angepisst entgegen, bevor der Song im riesigen Krach an die Wand fährt, sich langsam in eine jazzige Nummer steigert und letztlich doch in Resignation endet. Wie hier in wenigen Minuten die Songstruktur kurz und klein gehauen wird, zerfetzen Priests erbarmungslos in der restlichen halben Stunde Konzepte, Wünsche und generell eindeutige Zuordnungen, seien es beispielsweise Kapitalismus und American Dream in "Pink White House" oder das Selbstkonzept in "Lelia 20". "People are born and dying inside of me all the time", heißt es in letzterem, und tatsächlich kippt die Stimmung auch auf "Nothing feels natural" immer wieder von einer auf die nächste Sekunde. Da nuschelt Greer das introspektive "No big bang" in sich hinein und faucht auf "Puff" mal eben einen lakonischen Kommentar zur politischen Theorie des Akzelerationalismus "And Munayyer says Netanyahu's actually the best thing / Cause so much hate can only mean we're accelerating." Zu "JJ" und dessen Klimperpiano könnte man wiederum schon fast tanzen und darüber vergessen, dass "I wrote a bunch of songs for you / But you never knew and you never deserved them / Who ever deserves anything anyway / What a stupid concept" keineswegs fröhlich ist. Bei allen Stilwechseln und Einflüssen von Surfrock bis Post-Punk zerfällt "Nothing feels natural" jedoch nie zu bloßem Stückwerk. Vielmehr entsteht durch all die Wendungen, Haken und Ausbrüche ein kraftvoller Sog, der den Hörer mit durch jenen Dreck zieht, den aufbegehrende politisch aktive Künstler in Amerika zurzeit durchmachen.

"I don't make friends easily or naturally", heißt es auf dem vorzüglichen "Nicki", und tatsächlich werden es die Menschen auch mit dem oft unzugänglichen und aggressiven "Nothing feels natural" nicht immer leicht haben. Vielleicht nehmen einen auch deswegen im instrumentalen "Interlude" harmonische Streicher tröstend in den Arm und gönnen die Verschnaufpause, die man auch benötigt, um sich so mit dem dringlichen Debüt der Priests zu beschäftigen, wie es das verdient hat. Danach reicht der eingängige Titeltrack die Hand und reißt einen wieder mit, noch bevor alle Bedeutungsebenen wirklich entschlüsselt werden konnten. Verführerisch singt Katie Alice Greer da "Perhaps I will change into something / Swing wildly the other way", und wir können es kaum erwarten, wie sich dieser Wandel anhören wird.

(Marcel Menne)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • JJ
  • Nicki
  • Nothing feels natural
  • Pink White House

Tracklist

  1. Appropriate
  2. JJ
  3. Nicki
  4. Lelia 20
  5. No big bang
  6. Interlude
  7. Nothing feels natural
  8. Pink White House
  9. Puff
  10. Suck
Gesamtspielzeit: 33:38 min

Im Forum kommentieren

Gordon Fraser

2017-06-07 15:34:38

Gönn Dir! Die Platte macht Spaß, danke für den Tipp.

saihttam

2017-06-07 15:03:51

Geil, heute Abend live in der Oetinger Villa! Gönn ich mir.

wilson (ausgeloggt)

2017-03-22 17:03:58

das gefällt mir sehr gut!

konfusius

2017-03-21 16:46:12

nur weil keiner schreibt, heißt das nicht, dass es keiner hört.

saihttam

2017-03-21 16:31:55

Warum hört das hier eigentlich sonst keiner? Sehr druckvolle Songs mit einer klasse Frontfrau. Dazu noch einige richtige Hits wie JJ oder Nothing Feels Natural. Eins meiner liebsten Alben bisher in diesem Jahr.

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