Sun Kil Moon - Common as light and love are red valleys of blood

Rough Trade / Beggars / Indigo
VÖ: 24.02.2017
Unsere Bewertung: 3/10
3/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Mordsruf

Mark Kozelek ist ein missverstandener Typ. Das kann man mitterweile wohl ruhig so schreiben, auch ohne ihn persönlich zu kennen. Was sich lange als mal mehr, mal weniger holprige Gratwanderung zwischen Verstehen und Akzeptieren erklären ließ, dürfte mittlerweile als Tatsache durchgehen. Zwischen einer einseitig ausgetragenen Diskussion mit Sun Kil Moon, die in der Besprechung zu "Universal themes" gipfelte, und einer Beleidigung meinerseits gegen ihn, überschritt ich die Grenze allein 2015 zweifach. Der Höhepunkt fand schließlich Anfang 2017 statt, als ein Plattentests.de-User diverse Musik-Kritiker, mich eingeschlossen, des Rufmords bezichtigte, weil wir es gewagt hatten, Kozeleks "Scherze" als eben das zu bezeichnen, was sie wirklich sind. Dass genau zu diesem Zeitpunkt die Rezension zu Sun Kil Moons achtem Album "Common as light and love are red valleys of blood" fällig ist, stört mich wenig. Das Problem liegt nun einzig und allein bei jenen Fans, die vor der persönlichen Entscheidung stehen, ob sie den Sun-Kil-Moon-Frontmann trotz der vorherrschernden Ödnis auf dessen neuen Studiowerk noch lustig finden. Mir fällt das nicht schwer. Weder als Frau, die ihre Meinung über Kozeleks Verhalten geäußert und sein musikalisches Schaffen davon dennoch stets getrennt hat. Noch als Mensch, der in aller Deutlichkeit sagt, dass der 50-Jährige nun wirklich keine Hilfe braucht, um seinen eigenen Ruf zu zerstören – das schafft er auch ganz alleine. Wie gesagt: Mark Kozelek ist ein missverstandener Typ, in gewisser Weise sicher aber auch ein Troll.

Doof nur: Lachen kann man über den Witz in Form des Doppelalbums "Common as light and love are red valleys of blood" nur selten, wenn überhaupt. 16 Songs in über zwei Stunden, alleine für die ersten drei muss man sich schon eine halbe Stunde Zeit nehmen. Kein leichtes Unterfangen, das müssen sich wohl selbst die hartgesottensten Fans eingestehen, die in allem nach wie vor die große Kunst sehen wollen. Kozelek singt kaum noch, sondern erzählt, nölt, nuschelt, labert irgendwelche Geschichten runter. Es sind Alltagsbeobachtungen, auch Märchen, und manchmal wirkt es, als würde er aus seinem Tagebuch vorlesen. Oder aus der Zeitung. Oder aus der Bibel. Oder aus den Gelben Seiten. Darunter legt er in den meisten Fällen eine beliebige Gitarrenmelodie, löst sie mittendrin durch eine andere ab, spielt diese eine halbe Ewigkeit, bricht wieder ab, fängt das gefühlt vierte Stück im Stück an und findet am Ende mit Glück zur beliebigen Melodie zurück.

Das taugt allenfalls zur Hintergrunduntermalung, selten aber zum bewussten Hören. Gut möglich, dass Kozelek selbst darüber am lautesten lacht – tatsächlich wirkt der Gedanke, dass er prustend daheim sitzt und kopfschüttelnd über all jene grinst, die sich das Album in voller Länge antun und das Gute darin suchen, gar nicht so abwegig. Hin und wieder erinnert er gar an die alten Tage, als Sun Kil Moon noch eine verlässliche Wohltat waren, hier und da ertönt eine schöne Tonfolge, dort gesellt sich ordentlicher Hintergrundgesang zu Kozeleks monotonen Spoken-Word-Vorträgen. An anderer Stelle erwischt man sich sogar dabei, im Rhythmus mit dem Song zu wippen. Meistens aber ist das Album nicht mal mehr nur eine bloße Herausforderung, sondern die Hürde selbst. Eine vor der Nase baumelnde Karotte, die zum Weitermachen anstachelt, bietet Kozelek nicht an. Hier heißt es: Spring oder lass es bleiben.

Möglich, dass Kozelek genau diese Reaktion nicht nur erwartet hatte, sondern bewusst provoziert hat. Schon jetzt ist klar, dass das Album polarisiert und nicht nur die Hörerschaft, sondern auch die Kritik in zwei Lager spaltet. Da ist die eine Seite, die die Ironie im Ganzen sieht und als solche positiv aufnimmt. Da ist die andere Seite, die von genau dieser Ironie mittlerweile gelangweilt ist. Richtig oder falsch gibt es freilich nicht, der Gefallen an solch Dingen wie Musik ist immer persönlich eingefärbt, und bei einem Werk wie "Common as light and love are red valleys of blood" wohl gar eine bewusste Entscheidung. Es wäre für Sun Kil Moon einfach gewesen, neues Material im Stil von "Benji" zu produzieren und zu veröffentlichen, auf das sich wieder so gut wie alle einigen könnten. Vielleicht sogar zu einfach? Schaden wird es Kozelek sicher nicht, ob es ihn wirklich kümmert, bleibt offen, scheint aber unwahrscheinlich. Es ist sein gutes Recht, sich milde lächelnd über alle Erwartungen hinweg zu setzen und nur nach seiner eigenen Pfeife zu tanzen. Es ist des Forumsusers und jedes anderen Anhängers gutes Recht, das zu feiern und zu honorieren. Es ist mein gutes Recht, das schlecht zu finden. Hier geht es nicht um eine Verhaltensanalyse oder um eine persönliche Fehde mit einem mir privat völlig unbekannten Menschen, sondern um die kritische Auseinandersetzung mit dem Output einer meiner – zumindest einst – liebsten Bands. Vielleicht habe ich den Witz nicht verstanden, klar. Vielleicht aber doch: Wenn nicht mal Kozelek sich selbst ernst nimmt, muss ich das wahrlich auch nicht.

(Jennifer Depner)

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Highlights & Tracklist

Highlights

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Tracklist

  • CD 1
    1. God bless Ohio
    2. Chili lemon peanuts
    3. Philadelphia cop
    4. The highway song
    5. Lone star
    6. Window sash weights
    7. Sarah Lawrence College song
    8. Butch lullaby
  • CD 2
    1. Stranger than paradise
    2. Early June blues
    3. Bergen to Trondheim
    4. I love Portugal
    5. Bastille Day
    6. Vague rock song
    7. Seventies TV show theme song
    8. I love you forever and beyond eternity
Gesamtspielzeit: 130:31 min

Im Forum kommentieren

Gordon Fraser

2020-09-28 04:03:38

Immer noch so gut, v.a. die zweite Hälfte. Klar sein bestes Album der post-"Benji"-Zeit.

Gomes21

2018-02-21 13:09:46

Ja, ich sehe zudem "genöle" gar nicht mal grundsätzlich als Kritik =) Im richtigen zusammenhang versteht sich. Auf Banji z.B. habe ich das bei Kozelek als grandios empfunden, anders hätte er die Stimmung so nicht erzeugen können. Das ist ihm aber mMn nicht noch mal so gelungen.

seno

2018-02-21 13:04:39

Stimmt schon. Richtig objektiv ist man wohl nie, wenn es gegen die Lieblingskünstler geht.
Aber ab und an weniger Mimimi wäre schon schön.

Gomes21

2018-02-21 12:53:09

Muss er das denn sein? Bist du bei deinen Lieblingsmusikern immer rein objektiv? Ist natürlich ne Pfandfrage, das ist mMn gar nicht möglich. Von anderen Musikern wird auch jeder Furz gefeiert und ich will gar nichts rechtfertigen, ich habe selbst genug vom "aktuellen" Kozelek.

seno

2018-02-21 12:14:25

Es gibt sicherlich feine Unterschiede beim Nölen. Matt Berninger nölt ja auch teilweise, aber nicht so gelangweilt und eintönig wie Kozelek es seit einiger Zeit tut. Das stört mich halt, weil ich weiß, dass er es auch anders kann, siehe die früheren Alben.

Den Vergleich mit Nick Drake kann ich auch nicht mal ansatzsweise nachvollziehen, aber das Achim bei Kozelek nicht objektiv ist, ist ja hinlänglich bekannt. Da ist ja jede neue genölte Zeile gleich ein literarisches Meisterwerk.

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