Sampha - Process
XL / Beggars / IndigoVÖ: 03.02.2017
Allein für alle
Immer mittendrin, aber selten ausreichend gewürdigt. So könnte man die Karriereschritte des Sampha Sisay zusammenfassen. Dabei lesen sich die Namen der bisherigen Kooperationspartner teilweise wie das Who-is-Who der zeitgeistigen amerikanischen Musik. Der britische Sänger zeigte sein Können bereits auf Drakes bisher wohl ausgereiftestem Werk "Nothing was the same", auf Kanyes wahrscheinlich niemals ganz beendeten "The life of Pablo" oder auch auf dem vielbeachteten "A seat at the table" von Beyoncés kleiner Schwester Solange. Selbst bei dem kuriosen Visual-Album "Endless" des nicht minder kuriosen Frank Ocean hatte Sampha seine Finger im Spiel. Nun wischt er den Promi-Bonus der weltberühmten Protegés zur Seite und legt nach ein paar Verschiebungen gekonnt ein Album vor, welches all das und noch viel mehr besitzt, was auf den fremden Platten bereits angeklungen ist: das Gespür für die eigene Stimme im Raum, elegante elektronische Spielereien und die nie aus der Mode kommende Gabe der "Ein-Mann-am-Piano-Revue".
Die durchschlagende Emanzipation des Musikers nach verjährten Solo-EPs unterstreicht bereits ein Blick auf die Tracklist. Trotz allerbester Kontakte ins ganz obere Regal des Pops erscheinen zehn pure Sampha-Kompositionen ohne Gastbeitrag. Keine großen Namen, keine massentauglichen Gimmicks, die zur Käuferakquise taugen würden. Es spricht für das neugewonnene Selbstbewusstsein des Künstlers, dass er ruhigen Gewissens weniger mehr sein lässt. Die ersten beiden Songs legen die Messlatte auch bereits so hoch, dass kein Zweifel daran besteht, ob der Brite im Stande ist, ein Album allein zu tragen. "Plastic 100°C" fungiert als eine Einführung in den Klangkosmos und führt sensibel vor, welche Dramen und welcher Druck sich auf dem Weg zu einer fertigen Platte verdichten können. Im anschließenden "Blood on me" kommt dann nichts und niemand zur Ruhe: Ein tonaler Verfolgungswahn mit einer bestechenden Sinnlichkeit, der zeigt, dass Sampha sich weit entfernt von einem gewöhnlichen Newcomer bewegt. Auch die übrigen immer wieder nahezu zärtlich aufbegehrenden Stücke verfügen über die Portion Tiefe, die es braucht, um mehr als nur eine Banalität mit Gesangsspur zu sein.
Die introvertierten, fast scheuen Songs sind keine Skizzen mehr, die Sampha Szenegrößen zuarbeitet. Er macht sich nun für alle verfügbar und stapelt organisch Stimmschichten über Pianoklänge sowie allerlei Vertracktes, als wäre es die simpelste Formel der Welt. Neben der beruflichen Überwindung aus dem Produktions- und Schreiberstatus entwachsen zu wollen, steht auch die Überwindung des schmerzlichen Ablebens der Mutter. Ihr widmet Sampha die reduzierte Ballade "(No one knows me) like the piano", die für sich schon größer strahlt als so manche komplette Diskografie. Insofern beschreibt der Albumtitel mehr als die friedvolle Genese von ein paar Stücken Musik. Es ist vielmehr ein Hinweis auf den Prozess, der eingeleitet wird, wenn schicksalhafte Ereignisse in das geordnete Leben hineinbrechen und wie das alles einigermaßen schadlos auszuhalten ist. Sampha kanalisiert den Verlust, die Erwartungshaltung, den Mut für das Rampenlicht und schafft etwas, das von Dauer sein wird. Er musste schlichtweg weitermachen. Für sich und für die, die auf ihn gewartet haben.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Plastic 100°C
- Blood on me
- (No one knows me) like the piano
- Timmy's prayer
Tracklist
- Plastic 100°C
- Blood on me
- Kora sings
- (No one knows me) like the piano
- Take me inside
- Reverse faults
- Under
- Timmy's prayer
- Incomplete kisses
- What shouldn't I be?
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edegeiler
2017-12-08 19:49:48
eben ganz zufällig entdeckt, das ist ja großartig.
2plus2gleich5
2017-02-05 03:26:51
Das ist ja wirklich richtig stark.
Gut produziert, experimentierfreudig, aber eben nicht so steril wie vieles aus dem Bereich, das sich daran berauscht, cleverer Teil des Diskurses zu sein.
captain kidd
2017-02-03 21:57:14
Gut, das ist nicht schwer, cargo. Und er hat schon ne tolle Stimme. Und einige Sounds klingen auch echt toll. Aber irgendwie wirkt das Album irgendwie emotionslos. SSIO würde sagen: Da fehlt die Pointe, da fehlt der Sinn des Lebens. Irgendwie nur halbfertig gebacken.
cargo
2017-02-02 20:41:55
Auch wenn man den Sound vielleicht mittlerweile etwas über hat ist das ein ganz tolles Album geworden. James Blake, SOHN und Frank Ocean passen gut als Referenzen und Samphas Album ist besser als deren letzten Platten.
Armin
2017-02-01 22:02:34
Frisch rezensiert. "Album der Woche"!
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