Michael Vallera - Vivid flu

Denovali / Cargo
VÖ: 27.01.2017
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 5/10
5/10

Bäumelein und Albträumelein

In der durchoptimierten Welt hat der Mensch längst herausgefunden, dass er nie zum Nichtstun verdammt sein muss. Schließlich lässt sich im Schlaf noch der Puls messen und die REM-Phase optimieren. Erhole Dich, aber richtig! Und spätestens seit Max Richters "From sleep" kommt der bildungsbürgerliche Anspruch hinzu. Äuglein zu und den eigenen Intellekt steigern. Aber: Ambient galt ja schon vor dem Durchoptimieren als Musik zum Einschlafen – was Liebhaber so schätzten, galt dem Rest als treffendster Kritikpunkt. Was nun folgt, ist keine soziopolitische Abhandlung über das Genre in der Postmoderne und seiner Rolle im Kapitalismus – Kaufhausmusik am Arsch –, sondern die Erwähnung von Michael Valleras zweiten Album. Auf "Vivid flu" schüttelt es das Bäumelein, herab fällt ein schönes Albträumelein.

Denn über die knapp vierzig Minuten pumpt im Hintergrund stets die Lungenmaschine, damit die ganze Sache hier am Laufen bleibt. Vallera schafft einen klinischen Sound, den vor allem die verzerrten Effekte einer E-Gitarre prägen. Nur lässt sich das kaum erkennen in diesem Nebel aus Raum und Zeit. Rhythmus? Gibt es nicht. In "Pollen blot" laufen die Uhren rückwärts, irgendwo müsste hier eine satanische Botschaft versteckt sein, doch selbst die wenigen Takte wollen sich keiner Struktur anpassen. Stattdessen löst sich der Song nach nicht einmal fünf Minuten selbst auf, Vallera dekonstruiert ihn mit wenigen Kniffen. Wirklich greifbar lässt der Musiker aus Chicago nur wenige Momente sein. Da wäre der Sound im Titeltrack, der wie ein Pendel schwingt, die Luft vibriert und schlussendlich bleibt es unnahbar wie kaputt. Auf "Vivid flu" befinden wir uns eindeutig auf der dunklen Seite.

Nicht einmal die Namen der Songs geben einen Anhaltspunkt, ob dieses Album eine Erzählung hat. Das Nebulöse als Grundprinzip. Erst in "Drug" taucht die Gitarre mal klar und deutlich auf wie zuvor nur einzelne Töne eines Klaviers aus dem Rauschen und Dröhnen. Der Melodie verweigert sich Vallera nicht. Doch es ist nur ein Aspekt, ein kleiner Rand dieser verwunschenen und heimgesuchten Räume, die sich in dieser Musik auftun. Verwirrung und Fiebertraum, so sollen die fünf Songs daherkommen, ist die Ansage. Ein Sound, der sich von unserer Welt entfremdet hat. Tatsächlich schafft Vallera Unbehagen wie Unsicherheit. Dafür rutscht "Vivid flu" allerdings nie in die tiefsten Abgründe, sondern verharrt im Uncanny Valley – das Klavier in "Late" so merkwürdig vertraut und doch so beschädigt.

Diese Musik will keine Wärme auslösen, sondern die Kälte auskosten, jenen Moment berühren, kurz bevor wir in den Schlaf abrutschen und uns fragen: Was wenn dieser Zustand irgendwann für immer eintritt? In den dunklen Kosmos verabschiedet sich Vallera dafür nicht. Es reicht, dafür ein paar Töne zerschmelzen zu lassen. Die Welt konstruieren wir uns selbst. Nur besonders gute Schöpfer sind wir dabei nicht. Ambient und Drone überlappen sich hier wie so oft, doch bekommen sie bei Vallera noch viel weniger Förmlichkeit. Zerfallen lässt er sie aber ebensowenig. So müssen die Hufe des Nachtmahrs auf der kalten Erde klingen. Dann: Gute Nacht.

(Björn Bischoff)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Late
  • Drug

Tracklist

  1. Vivid flu
  2. Late
  3. Pollen blot
  4. Still life
  5. Drug
Gesamtspielzeit: 38:17 min

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Armin

2017-02-01 22:11:14

Frisch rezensiert.



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