Der Rest - Therapie für alle!
Morgana Films / Artist Station / SoulfoodVÖ: 18.11.2016
Scheiße wärmt auch
"Mit ein bisschen Glück werden wir uns nie wieder sehen", orakelte Philipp Taraz auf dem letzten Album von Der Rest. Zu früh gefreut. Zweieinhalb Jahre später steht der Hamburger mit seiner Band doch wieder auf der Matte. Aber Spaß beiseite. Das Zitat stammt aus dem Song "Dein Schatten" und beschloss seinerzeit vielmehr eine bittere zwischenmenschliche Abrechnung, statt vom möglichen Ende des Trios zu künden. Denn der Hörer will nach den düster-betrunkenen Moritaten von "Willkommen im Café Elend" und dem schonungslosen Briefroman "10 Lieder für Freunde" natürlich wissen, wie es weitergeht mit Der Rest und ihrem aggressiv rumpelnden bis pessimistisch brütenden Post-Punk und Dark Wave. Positiv etwa, weil der Ausruf "Therapie für alle!" nahelegt, es könne sich um ein musikalisches Allheilmittel handeln? Oder in genau entgegengesetzter Richtung, da die gesamte Menschheit geschlossen zum Seelenklempner geschickt gehört? Vorsichtshalber also bitte nicht zu bequem auf der Couch Platz nehmen.
"Deine Seele ist mein Bett" haut einen mit aufgekratzter Rasanz, knackigem Riff und beißender Orgel zu Anfang sogar glatt vom Polstermöbel. Einzig der akzentuierte Sprechgesang beruhigt diesen kompakten Kracher ein wenig, während Taraz in abstrakten Bildern über den Kampfstern Dasein sinniert. Vergatterte der Frontmann auf "10 Lieder für Freunde" jedoch lediglich das private Umfeld, reicht sein Blick inzwischen weiter. Im großartig ungemütlichen Shuffle "Die Festung" etwa zur Flüchtlingskrise oder beim atemlos hetzenden 35-Sekünder "Er tritt auf den Platz" ins Bewusstsein eines Agoraphobikers, der jeden Moment von einem Attentäter in die Luft gesprengt zu werden fürchtet. Und die ebenso wie der Opener zum Hit taugende Single "Wir wollen den Horror" konstatiert per unsanftem Punkrock: Kein Schrecken kann furchtbar genug sein, als dass der Mensch sich nicht so magisch davon angezogen fühlen würde wie die Zunge von einem kranken Zahn. Tritt zu, tut weh. Das muss so.
Doch auch auf "Therapie für alle!" drosseln Der Rest wiederholt das Tempo und verhandeln neben fremden ebenso eigene Defizite. "Ich liebe Dich" lockt mit zarten Worten, aber nach der Zeile "Ich werde mir nie vergeben können, es passt einfach nicht zu mir / Wenn einmal etwas schlecht ist, wird es nie wieder gut" kuschelt selbst der hartnäckigste Romantiker lieber mit seelischem Unrat. Scheiße wärmt schließlich auch – wie jeder weiß, der seine Ängste, Unzulänglichkeiten und kaputten Beziehungen schon einmal in vollen Zügen genossen hat. Und täuscht "Was wenn nicht" mit anfänglichem Drum-Stakkato von Red Hot Chili Peppers' "Can't stop" an, um wenig später die eigene Beerdigung zu inszenieren, ist das ein geradezu hundsgemein hämischer Kniff. Gibt es dennoch Hoffnung? Der vergleichsweise lockere Noise-Rocker "Lasst uns tanzen" deutet so etwas an – nur wer tanzt schon gern allein? Und so lautet eine der Lehren dieses stachligen Klassealbums: Der Rest brauchen uns mindestens genauso wie wir sie.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Deine Seele ist mein Bett
- Die Festung
- Ich liebe Dich
- Wir wollen den Horror
Tracklist
- Deine Seele ist mein Bett
- Die Festung
- Der Wald
- Er tritt auf den Platz
- Ich liebe Dich
- Wenn der erste Schnee fällt
- Was wenn nicht
- Das Licht
- Wir wollen den Horror
- Lasst uns tanzen
- Nur ein Tier
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Armin[bot]
2016-12-11 22:50:25
Deine Meinung ist auch meine Meinung, versprochen!
Armin
2016-12-11 22:31:04
Frisch rezensiert.
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