Josefin Öhrn + The Liberation - Mirage
Rocket / CargoVÖ: 14.10.2016
Highway der Dämmerung
Das Schaurige und Rätselhafte hat seinen ganz eigenen Reiz, macht es doch das Gesamtwerk von David Lynch aus und erklärt die maßlose Vorfreude auf Neues aus Twin Peaks im kommenden Jahr. Wie bereits auf ihrem Debüt graben auch Josefin Öhrn + The Liberation in einer lynchianischen Zwischenzone der Klarheit und des völlig Verschwommenen. Bei ihrem Zweitwerk "Mirage" begann das Mysteriöse schon in der Entstehung. Auf nächtlichen Straßen wurden diese zehn Songs aufgenommen, halb schläfrig, wenig bewusst, sodass sich das Kollektiv nicht mehr recht entsinnen kann, wie alles überhaupt zustande kam.
Der Hang zum Spirituellen lässt sich ja bereits am Bandnamen erkennen, der frei den Zweittitel vom "Tibetischen Buch vom Leben und vom Sterben" zitiert. Voodoo, Tribalismus und ein wenig Weltuntergangsstimmung sind die Themen für diese Klänge aus psychedelischem Shoegaze. Dieses Mal verschreiben sich die Schweden noch stärker den krautrockigen Jams und werden dadurch hypnotischer. Dominante Drums treiben "The state (I'm in)" voran, dazu schichten sich gedehnte Synthesizer und in "Sister green eyes" noch orientalische Töne. Beide Songs sind martialisch, zerrütten und lärmen, während Öhrn kaum verständlich über etwas brütet.
"Mirage" ist eine chaotische Schimäre, auch eine böse – und wenn das der Klang zum Tanz der Zeit sein soll, dann ist es eine düstere Zeit. Eine gruselige, die leicht kirre macht und doch anzieht. Daran können auch Störgeräusche nichts ändern, die verschlüsseln und ablenken. Eher sind sie ein verheißungsvolles Knistern, unklar, wo landend, nahe dem Bauch, vielleicht im Kopf, vielleicht im Herzen. Das Album ist desorientiert, folgt einer improvisierten Nachtroute, die einige Härten aufweist, gerade durch mechanische Drums und kalte Synthesizer. Lichtblicke sind ein Chor in "Rainbow Lollipop" oder Garagenrock in "Looking for you".
Sonst kracht und klappert es. Und wie: in holpernden Basspuren von "Rushing through my mind" und der Gitarrenbreitwand "Endless ocean". "Mirage" ist ein denkbar merkwürdiges Album, gerade weil es unter dem Lärm zierlich und doch spröde bleibt, weil es wunderbar durcheinander ist und trotzdem nichts an einer Zartheit verliert, die sich erst spät in "Where I'm going" entdecken lässt. Dann tragen verträgliche Gitarren über den schütteren Chor. Den Spuk, den Josefin Öhrn + The Liberation bis dahin heraufbeschworen haben, er verschwindet spätestens mit "Imagine you". Und das Diffuse wechselt ins poppig Süße. Bei Lynch wäre dieses Happy End unvorstellbar, hier passt es gut.
Highlights & Tracklist
Highlights
- The state (I'm in)
- Rainbow lollipop
- Rushing through my mind
Tracklist
- The state (I'm in)
- Sister green eyes
- In Madrid
- Rainbow lollipop
- Endless ocean
- Looking for you
- Rushing through my mind
- Circular motion
- Where I'm going
- Imagine you
Im Forum kommentieren
Armin
2016-11-09 22:05:04
Och ja, an sich sind wir bemüht, alle Platten (vor allem die bekannterer Acts) möglichst nah am Erscheinungstermin zu rezensieren. Gleichzeitig haben wir unsere Grenze von 20 Rezensionen pro Woche.
Da im September/Oktober unglaublich viel erscheint (und entsprechend wenig), reichen wir diverse eher un-/semibekannte Sachen nach, die uns zum Weglassen zu gut sind. So wird's auch die nächsten Wochen weitergehen.
Diese Rezension ist tatsächlich schon seit einigen Wochen geschrieben. Schimpf auf uns, schimpf aber auch auf die Plattenindustrie.
Underground
2016-11-09 21:04:47
Ach, sieh an. Nen Album einen Monat nach Erscheinen hier zu rezennsieren. Hut, ab, Armin!
Armin
2016-11-09 21:02:02
Frisch rezensiert.
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