Alicia Keys - Here

RCA / Sony
VÖ: 04.11.2016
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Abgeschminkt

Gleich rein: In medias res! Schließlich braucht Alicia Keys auf ihrem sechsten Studioalbum ja selbst nur drei Minuten und drei Sekunden, um klarzumachen: alles zurück auf Anfang. Denn "The gospel" hat zum Auftakt weit mehr von ihrem Debüt "Songs in A minor" als ihre gesammelten Werke der letzten Jahre. Ja, wieder eine Hymne auf New York, aber dieses Mal rastloser, rauer und raffinierter. "If you ain't in a battle, how you gonna win the fight?" R'n'B ist an dieser Stelle direkt gegessen, dafür trumpft Alicia Keys als Rapperin auf. Auf "Here" herrschen eben Ausdruck und Botschaft.

Über 100 Songs schrieb die 35-Jährige seit "Girl on fire", änderte ihren Arbeitsprozess. Nicht mehr sie alleine lud sich die Verantwortung des kreativen Schaffens auf, sondern sie tauschte sich für die neue Platte mit verschiedenen Produzenten und Songwritern aus. Währenddessen sorgte sie vor allem durch zwei Sachen für Aufmerksamkeit bei der Musikpresse: Sie entschied sich, kein Make-up mehr zu tragen ("Mutig"), und zitierte Nietzsche in einer Rede beim Launch des Streaming-Dienstes Tidal ("Prätentiös"). Dazwischen gab es mit "28 thousand days" noch eine Single, die jedoch weder mutig noch prätentiös war, sondern hintergründiges Verkaufsargument für Jeans in einer Werbung. Das war selbst der Musikpresse Jacke wie Hose.

Das Feuer der vergangenen Zeit hat sich bei Keys darüber nicht zum Inferno entwickelt. Auf "Here" gibt es zwar jede Menge Wut, etwa hinter der fröhlich schiefen Fassade von "Girl can't be herself", doch das färbt nicht auf den Sound ab. Der bleibt zwischen Soul, Jazz, Pop und HipHop. Die Songs von Nina Simone haben dieses Album ebenso geprägt wie Tracks des Wu-Tang Clans. Und im Vergleich zu vielen anderen Künstlern findet Keys eine Sprache für das gegenwärtige Amerika, für dessen Probleme, Unruhen, für den Rassismus, für den Hass: "Maybe we could love somebody instead of polishing the bombs of holy war." Keys bleibt hier durchweg bei diesem Optimismus. Mit Kuscheln zu einer besseren Welt? Das hat schon bei Motown nicht geklappt. Lässt sich in den drei Minuten eines Songs jedoch besser verpacken als das soziokulturelle Essay zu dem Thema. Und wer mag da nicht dran glauben?

Dass Keys jedoch weit mehr zu sagen hat, zeigt sich vor allem auf den Songs, an denen sie mit ihrem Mann und Produzenten Swizz Beatz gearbeitet hat. "She don't really care_1 luv" hat einen organischen Sound, wie überhaupt das ganze Album eine viel wärmere Produktion besitzt. Ebenfalls erzählt Alicia Keys hier von der Liebe, von der vermeintlichen Suche danach. Dieses Mal ist ihr Text jedoch runder, ambitionierter, besser. Sie kann das ewige Klischee davon brechen. In "Illusion of bliss" geht es um Abhängigkeit und Keys singt hier mit so viel Leidenschaft, mit so viel Schmerz und Verzweiflung wie seit zehn Jahren nicht mehr. Dabei ist dieses Album keine lineare Entwicklung, sondern ein Bild, das aus vielen einzelnen Momenten entsteht, das mit Interludes arbeitet, das sich bemüht eben eine kraftvolle Stimme zu finden.

Und so löst sie endlich wieder das Versprechen ein, das ihr Debüt war. Sie ist eine bessere Songwriterin, als sie es in den letzten Jahren gezeigt hat. Dass sie nochmal einen Song wie "More than we know" bringen würde, war nach den letzten beiden Platten in der Tat zweifelhaft. Dass sie noch einmal an ihre Kreativität und ihren Soul aus den Anfangstagen anknüpfen konnte, war ebenfalls mit einem großen Fragezeichen versehen. Doch Alicia Keys geht einen Schritt zurück, um zwei Schritte nach vorne zu machen. "Here" ist das Album, auf dem sie wieder zu ihrer Größe, zu ihrem Selbstbewusstsein, zu ihrem Sound und letztendlich zu sich gefunden hat. Und das ganz ohne Zitat von Nietzsche.

(Björn Bischoff)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • She don't really care_1 luv
  • Illusion of bliss
  • Holy war

Tracklist

  1. The beginning (Interlude)
  2. The gospel
  3. Pawn it all
  4. Elaine Brown (Interlude)
  5. Kill your mama
  6. She don't really care_1 luv
  7. Elevate (Interlude)
  8. Illusion of bliss
  9. Blended family (What you do for love) (feat. A$ap Rocky)
  10. Work on it
  11. Cocoa butter (Cross & pic interlude)
  12. Girl can't be herself
  13. You glow (Interlude)
  14. More than we know
  15. Where do we beginn now
  16. Holy war
  17. Hallelujah
  18. In common
Gesamtspielzeit: 52:34 min

Im Forum kommentieren

Kojiro

2021-06-05 06:43:38

"Illusion Of Bliss" ist ihr persönliches "Minnie's Lament". Vielleicht ihr bester Song. Ganz groß.

Jörgel

2016-11-12 20:10:36

In Common war doch ein Kalbum?

Temmi

2016-11-12 15:25:26

Hielt In Common eigentlich immer für ihr überschätzelstes Werk, aber ist halt Geschmacksache...

Dan

2016-11-11 21:49:46


Mag "In Common" eigentlich immer noch gern... Ist halt kein Paukenschlag von Single, aber trotzdem gelungen.

Die Plattenfirma hat's dann an letzter Stelle verbannt. :D

Dr. Dreispitz

2016-11-11 16:51:16

Aber erst nach drei Stunden Schminkepinke.

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