Ina Müller - Ich bin die

Columbia / Sony
VÖ: 28.10.2016
Unsere Bewertung: 4/10
4/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Die Ich-Blondine

Normalerweise läuft eine Plattenbemusterung so ab: Plattentests.de-Chef Armin schreibt dem Promoter, dieser meldet sich kurz zurück, und irgendwann hat der Rezensent entweder eine E-Mail mit Link zum Albumstream im Postfach oder aber einen Polsterumschlag mit einer CD im Pappschuber plus A4-Fresszettel mit Infos im Briefkasten. Bei Ina Müller geht das anders: Erstens bekommt man sowohl Mail als auch Brief, zweitens ist in der Post ein dickes Info-Booklet, sicher 400-Gramm-Papier, achtseitig im Sonderformat, Leporellofalz, güldene Heißfolierung – edel, edel. "Ich bin die" heißt das achte Studioalbum der mittlerweile 51-Jährigen aus dem Fernsehen. Und der Name ist Programm: Egozentrischer geht kaum. Hätte man ja schon beim Öffnen des Briefes ahnen können.

Bisher haben ihre Platten hier – "Das wär Dein Lied gewesen", "Live" und "48" – stets mit 6/10 abgeschnitten. Weil Müller harmlose "Geschichten aus dem Leben" vorträgt, und sicher auch, weil man eine Grundsympathie zu ihr nicht leugnen kann. Nur, und das gilt es ganz drastisch festzuhalten, weiterentwickeln will sich die Dame absolut nicht. Musikalisch ist "Ich bin die" weiterhin vollkommen in Ordnung – nicht mehr, und nicht weniger. Lyrisch aber strahlt diese ewige Konservierung der Midlife-Crisis mittlerweile enormes Nerv-Potenzial aus. Schon ein bisschen peinlich, wenn Müller unter anderem in "Kommando Heulen" immer noch von "Jungs" statt Männern singt.

Das älteste Fräulein der Republik hat Angst. Vorm Älterwerden, vor der Bedeutungslosigkeit. Soviel ist sicher. Keinen Song gibt es auf dem gitarren-poppigen Werk, welcher nicht sie selbst nach vorne rückt. Es ist ja schon ärgerlich genug, wenn ein Künstler immer nur das "Du" thematisiert. Aber, man weiß auch: Die Eselin nennt sich immer zuerst. Das Titelstück versieht Müllers Selbst mit Attributen: "Ich bin die", heißt es da, "die schnell mal auf die Nerven geht", "die brüllend auf dem Tresen steht", "die immer viel zu laut mitsingt." Flucht nach vorn ist da Programm: Der eigenen Verletzlichkeit einfach den Blick von außen entgegenstellen. Wirkungsvoll ist sowas selten. "Immer eine mehr wie Du" versaut nicht nur den Komparativ, sondern geht auch den nächsten Schritt: Den Vergleich der eigenen Person mit einer anderen. Ein Banjo zieht die Stimmung ins Ländliche, der schwungvolle Rhythmus gliedert Handclaps ein und unterstreicht das permanente Augenzwinkern der Sängerin. Ironie – noch so ein Fluchtmittel.

Noch zackiger gehts in "Wenn Du jetzt aufstehst" zu. Die E-Gitarre macht die Melodie, die Snare klappert flott nach vorn. Nicht täuschen lassen vom Personalpronomen im Titel, Zitat: "In einer Reihe sitzt ein Junge und scannt mich ab / Er sieht mich an und denkt: 'Wie alt könnte die Frau wohl sein?'". Der Bub richtet sein Cap, steht auf, geht auf sie zu, und Müller ist das ganz ganz dolle unangenehm. Die Blondine kokettiert fleißig mit jedem neuen Augenfältchen und ist einmal mehr nonchalant unterwegs. Das ist ja sowas wie ihr Markenzeichen. Wenn das bloß nicht so anstrengend wäre ihr andauernd dabei zuzugucken oder zuzuhören. Immerhin aber ist das alles okaye Radio-Mucke. Und im Sinne dieses Prädikats stechen dann zumindest noch das locker-flockige "Zimmer 410" mit dem Mitsing-Chorus und die rührselige Heimat-Ballade "Dorf bleibt Dorf" hervor. Wenns das schon war, ist die ganze Selbstgefälligkeit so gar nicht legitim, Frau Müller.

(Pascal Bremmer)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Zimmer 410
  • Dorf bleibt Dorf

Tracklist

  1. Ich bin die
  2. Das war's
  3. Tag eins nach Tag aus
  4. Immer eine mehr wie Du
  5. Klammerblues
  6. Wenn Du jetzt aufstehst
  7. Wie Du wohl wärst
  8. Zahlen, bitte
  9. Bei jeder Liebe
  10. Zimmer 410
  11. Kommando Heulen
  12. Dorf bleibt Dorf
  13. Sowas wie Glück
Gesamtspielzeit: 47:56 min

Im Forum kommentieren

Flami

2016-10-29 19:41:11

Der komplette Titel des Album sollte ursprünglich "Ich bin die, die nervt wie Fußpilz" heißen. Aber dann fiel dem Management auf, dass Fußpilz heilbar ist...

Mama, 75

2016-10-29 19:30:48

Untersteh Dich! Ich wünsche mir die neue Platte von Leonhard Cohen.

Arbeiter

2016-10-29 11:02:02

Das Album schenke ich meiner Mama (zum 75.)

Der Tjaer

2016-10-28 20:26:18

Tja. In Wetzlar steht die Ritalin-Arena. Diese Hessen haben echt Humor.

crispel

2016-10-28 08:24:09

Aber ne hotte M.ILF isse schon!

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