Karies - Es geht sich aus
This Charming Man / CargoVÖ: 04.11.2016
Das schwäbische Grundgesetz
Kennt hier jemand noch das höchst amüsante Quiz-Computerspiel "You don’t know Jack"? Dieses erforderte nicht nur Allgemein- und Trivialwissen, sondern bezog seinen Unterhaltungswert auch aus Themengebieten wie "Jesus kam nur bis zum Münzwaschsalon" oder "Was man auf gar keinen Fall haben möchte". Ein Paradebeispiel für Letzteres schien im September 2016 eine Veranstaltung des Duisburger Platzhirsch-Festivals zu sein: Karies, Pisse, Gewalt. Doch was sich liest wie ein Happening, bei dem mundfaule Schlägertypen mit vereinten Kräften ihre Notdurft verrichten, war lediglich ein lautes Konzert. Wie es sich gehört, wenn der durch sein Album "Mit Schinken durch die Menopause" berüchtigte Lo-Fi-Radaubruder Pisse, Ex-Surrogat-Kopf Patrick Wagner mit seiner Band Gewalt und die schwäbischen Post-Punks Karies auf der Bühne stehen.
Und diese schenken sich und ihrem Publikum auch auf dem zweiten Longplayer nach "Seid umschlungen Millionen" nichts. Trotz des harmlosen Titels "Es geht sich aus", einer Art österreichischen Variante des kölschen Grundgesetzes "Et hätt noch emmer joot jejange". Doch genug der scherzhaften Dialektverwirrung, denn launig mutet kaum etwas auf dieser Platte an, wo der frühere Die-Nerven-Drummer Kevin Knoth inzwischen den aktuellen Die-Nerven-Drummer Kevin Kuhn ersetzt. Klingt kompliziert, ist aber halb so schlimm: Wie Max Rieger – freilich: von Die Nerven – auf dem "Welt in Klammern"-Album seines Soloprojekts All Diese Gewalt docken auch Karies bei den artverwandten Kollegen an. Die Grenzen sind fließend, Songs und Stimmung dunkelgrau, die musikalischen Qualitäten jeweils herausragend. Schon der Opener weiß: "Es ist ein Fest".
Geladen sind unter anderem missmutig kreisende Gitarrenfiguren und störrische Breaks, die einen allzu rund laufenden Kickstart verhindern, zumal Knoths sich hektisch überschlagendes Schlagzeug plötzlich mitten auf einem Hindernis-Parcours steht. Doch auch wenn die Dinge allmählich an ihren Platz finden, erweist sich "Es geht sich aus" als permanenter Unruheherd. Beim überstürzt nach vorne preschenden Riffing von "A" wie auf der Single "Keine Zeit für Zärtlichkeit", deren rigoroses Bassgrollen trotz rhythmischer Feinheiten und kleiner Harmoniesignale wenig Aufmunterndes verheißt: "Das Leben wird mit allem fertig / Das Leben wird auch mit Dir fertig." Und bei den krisengeschüttelten (Ost-)Albträumen des pointiert kratzenden "Mühlen" fühlt es sich an, als hätten ebendiese die morschen Knochen bereits in der Mache.
Passend dazu sinnieren Karies in "Überlegen" argwöhnisch "Hast Du jemals Kante gezeigt?" – und haben mit zornigem Stakkato eine überzeugend geräuschvolle Replik parat, während der speckige Punkrocker "Frage Antwort" in drei Minuten alles Wesentliche geklärt, also in Grund und Boden gestampft hat. Das Titelstück wirkt danach als unaufhörlich anschwellendes Noiserock-Monster wie eine sarkastische Zuspitzung, ehe sich Benjamin Schröter als menschliches Metronom tonlos die Finger auf der Sechssaitigen wund schrubbt – Fehlfarbens "Paul ist tot" springt dem Hörer hier ebenso ins Gesicht wie die hübsch-hässliche Zeile "Alleine kann man schlecht pervers sein / Ich muss mal wieder unter Leute gehen." Die wunschgemäß nihilistische Schlussfolgerung eines großartig beunruhigenden Albums. Eine weitere: Karies können einiges. Auch Hochdeutsch.
Highlights & Tracklist
Highlights
- A
- Keine Zeit für Zärtlichkeit
- Mühlen
- Pervers
Tracklist
- Es ist ein Fest
- A
- Jugend
- Keine Zeit für Zärtlichkeit
- Mühlen
- Ostalb
- Überlegen
- Frage Antwort
- Es geht sich aus
- Pervers
- Einheiten
Im Forum kommentieren
Watchful_Eye
2017-03-15 13:27:45
@Alex Die typische Plattentests-Rezension besteht aus 4 Absätzen: Einleitung; Sound des Albums allgemein; Songs/Spezielle Eigenheiten/Details; Abschluss. Besonders gute Alben bekommen einen zusätzlichen Absatz bzgl ihres Sounds, besonders kontroverse einen zusätzlichen Absatz Einleitung
Armin
2017-03-15 13:07:44- Newsbeitrag
Liebe Freunde und Medienpartner,
die Stuttgarter Post-Punk Band Karies hat aktuell einen neuen Track veröffentlicht. Dieser wurde in den Milberg Studios in Stuttgart im Rahmen der Aufnahmen zu "Es geht sich aus" von Ralv Milberg und Max Rieger (Die Nerven) produziert. Bislang war der Track jedoch nirgends zu hören! Hört und lest "Als Es Schon Zu Spät War" in der Premiere beim Diffus Magazin.
diffusmag.de/2017/03/exklusive-premiere-karies-streamen-als-es-schon-zu-spaet-war/
Falls ihr den Song noch Online in den News featuren möchtet, findet ihr hier den Link zur Soundcloud und hier den Embed Code:
KeGo
2016-11-05 22:52:29
Ganz starke Platte, läuft bei mir in Dauerschleife. Muss zwingend am Stück gehört werden.
Alex
2016-10-28 12:11:06
Ist das jetzt irgendwie interne Vorgabe, dass es im ersten Absatz bloß nicht um die Musik des besprochenen Albums gehen darf?
Armin
2016-10-26 21:00:22
Frisch rezensiert.
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