Christian Kjellvander - A village: Natural light

Tapete / Indigo
VÖ: 14.10.2016
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Los, umarmt Euch!

Fünfzehn Jahre ist es her, da parlierte Singer-Songwriter Christian Kjellvander in einem Interview inbrünstig über sein Lieblingsalbum: "Nebraska". Eine annähernd so dichte Atmosphäre mit ähnlich tiefen Texten hinzubekommen wie Bruce Springsteen anno 1982, das war sein Ziel. Den kleinen, in sich selbst verlorenen, den von der Mühsal simplen Seins nahezu gänzlich verschluckten Mann hat er seitdem fest im Blick. Und konfrontiert ihn, Platte für Platte, mit der unermesslichen Weite seiner Heimat, der skandinavischen Wald- und Seenwelt. Mitsamt all den Möglichkeiten und existentialistischen Gedankenspielen, die eine solch menschenarme Umgebung bietet. Seit sechs Solo-Platten geht das so. Ein kleiner Springsteen ist er damit nicht geworden. Aber, dank gleichbleibend hoher Qualität: ein ziemlich großer, zuletzt vielleicht sogar übergroßer Kjellvander. Dem neuen Werk "A village: Natural light" gelingt nun ein bemerkenswertes Kunststück. Es stutzt den Schweden wieder auf Normalmaß zurecht, holt ihn heraus aus seiner selbsterschaffenen Zausel- und Eremitenklause. Und hievt ihn gerade dadurch, durch diese Rückführung zum Menschen, auf ein noch höheres Level.

Ein lupenreines Bandalbum mit Gitarren, Bass, Schlagzeug und Piano ist "A village: Natural light" geworden. Kein erdiges Akustikgeschrubbe, dafür ein mit sanften Loops und Synthesizern angereicherte Kompaktkunstwerk. Erdig ist dafür umso mehr Kjellvanders Halbtagsjob zu nennen, den er während der Vorarbeiten zum Album annahm. Auf einem Friedhof. Klingt morbide, verfolgte jedoch zuvorderst das Ziel, einen neuen Zugang zu seiner eigenen Traurigkeit zu finden. Um Trauer besser zulassen und in Stärke verwandeln zu können.

Und nun höre sich einer, bestenfalls alle, dieses Album an! Klerikal ist hier, gottlob, gar nichts geworden. Gospelig, Halleluja, auch nicht. Getragen von Kjellvanders unverwechselbarem Country-Organ, klingen die elf neuen Songs zunächst so freiheits- und natursuchend wie eh und je. Einer wie das andere traurig und spannend zugleich, gleichermaßen bedrohlich wie kathartisch. Noch immer stehen die Menschen in Kjellvanders Stücken allesamt auf der Kippe, sind dem persönlichen Untergang, einem frühzeitigen Erstickungstod geweiht. Doch anders als auf früheren Alben lässt Kjellvander seine Protagonisten nicht mehr verzweifeln oder verrecken daran, ja nicht einmal mehr flüchten. Sondern sie sich vielmehr, und neuerdings: sammeln. Neue Kraftquellen erschließen.

Allein der Gänsehaut- und Tränen-Song "Riders in the rain" bewerkstelligt in seinen knapp 3:20 Minuten Laufzeit mehr an Verlustverarbeitung als, mit Verlaub, Therapeuten in mehrstündigem Gequatsche hinbekommen. Schon die mit leichtem Jenseits-Hall versehene und von instrumental spielerischem Grundmotiv untertupfte Zeile "Please forget me when I’m gone / I was never here" ist tröstend genug. Spätestens beim sehnend nachgeschobenen, orgelesk und spirituell gen Himmel leitenden "Please forgive me when I’m gone / I was never here" öffnen sich dank minimaler Sinnverschiebung die ganz großen Herzensschleusen und Seelenpforten. Stairway to Heaven? Ein ausgelatschter Abstraktschuh gegen das, was Kjellvander hier an kitschfreier Trösterei vollbringt.

"Always with the horses" schreibt Fußnoten-Popgeschichte, ist es doch das erst zweite zulässige Lied aus der Sparte "scheue Mädchen mögen Pferde" (das andere stammt von Belle & Sebastian). Derweil das menschen- und völkerverbindende "Dark ain’t that dark" nicht einmal Zyniker dazu anregt, sich stehenden Fußes zu übergeben. Sondern sich stattdessen einen Menschen zu suchen. Zum Umarmen, zum Festhalten, zum Durch-einen-düsteren-Herbst-Bringen. Dass Kjellvander derlei Gefühle auf Albumlänge nicht nur weckt, sondern fördert, ist das große Faszinosum einer außergewöhnlichen Platte.

(David Wonschewski)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Riders in the rain
  • Always with the horses

Tracklist

  1. Shallow sea
  2. Dark ain't that dark
  3. Midsummer (Red dance)
  4. Riders in the rain
  5. Misanthrope river
  6. Always with the horses
  7. Staghorn sumac
  8. Good child
  9. Gallow
Gesamtspielzeit: 50:15 min

Im Forum kommentieren

Angelika

2016-10-18 18:16:16

Was für eine schön zu lesende und wahrscheinlich sehr treffende Beschreibung. Habe gerade eben erst "The Pitcher" und dann meine Lieblings CD "I saw her from here..." gehört. Mal wieder! War dieses Jahr auf 2 seiner Konzerte und habe den März schon fest im Kalender stehen. Christian und seine Frau Therese sind nicht nur wirklich gute Musiker sondern echt liebe Menschen. Ich freue mich sehr, Christian seine neue CD persönlich abzukaufen.

Armin

2016-10-16 21:49:11

Im Februar und März 2017 ist Christian Kjellvander auf Bandtour in Deutschland, Österreich, Schweiz.


präsentiert von TAZ, Kulturnews und ByteFM
22.02.17 Hamburg - Hafenklang
23.02.17 Berlin - Privatclub
24.02.17 Bielefeld - Falkendom
25.02.17 Aachen - Raststätte
26.02.17 Münster - Fachwerk
01.03.17 CH-Zürich - Bogen F
02.03.17 CH-St.Gallen - Grabenhalle
03.03.17 AT-Vöcklabruck - OKH
04.03.17 Schorndorf - Manufaktur
05.03.17 München - Milla
06.03.17 Aschaffenburg - Colos-Saal
07.03.17 Fürth - Kofferfabrik
08.03.17 Mainz - Schon Schön
09.03.17 Düsseldorf - Kassette
10.03.17 Bremen - KITO
11.03.17 Dresden - Beatpol

Miko

2016-10-13 18:19:55

Das freut mich sehr, dass ihr den Kjellvander an dieser Stelle so prominent hervorhebt. Er hat das treffend formulierte Lob, jede Aufmerksamkeit und ganz genaues Hinhören verdient.

Obrac

2016-10-13 12:22:08

Die letzten Platten waren schon etwas mau. Immer mal wieder richtig gute Songs dabei, aber kein durchgängig gutes Album wie "Songs from a two-room Chapel", die für mich immer noch eines der besten Songwriteralben ist.

Die letzte Loosegoats war ja auch nicht schlecht, aber eben nicht richtig gut. Von der Neuen erwarte ich da Ähnliches. Erscheint ja zum Glück schon morgen.

Editor

2016-10-13 12:17:26

@Moni

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