Fritz Kalkbrenner - Grand départ
Suol / BMG / WarnerVÖ: 14.10.2016
Wenn einer keine Reise tut
Es ist nicht schwer zu erraten, welche Themen den jüngeren Kalkbrenner-Bruder Fritz umtreiben, wenn man sich seine Diskographie anschaut. "Here today gone tomorrow", "Sick travellin'", "Ways over water" und nun eben "Grand départ". Da geht es um Rastlosigkeit, Reisen und neue Wege. Kritiker mögen entgegen, das sei ja nun exakt das Gegenteil von dem, was Kalkbrenners Musik ausmache: Wohnzimmertauglicher House, der sich seit vier Alben kaum weiterentwickelt hat. Sie haben nicht Unrecht – man weiß eben, was einen bei Fritz Kalkbrenner erwartet. Minimale Elektro-Grooves, die nebst organischen Sounds und Instrumenten auch dann und wann von Kalkbrenners eigener soulgetränkter Stimme veredelt werden. Da kann der aktuelle Albumtitel noch so sehr den großen Aufbruch ausrufen, auf "Grand départ" hat sich an dieser Mischung gar nichts geändert.
Zwar hieß es im Vorfeld, bei der Aufnahme sei eine deutlich größere Vielfalt von Instrumenten eingesetzt worden. Auf dem Album merkt man davon allerdings nur am Rande etwas, beispielsweise wenn im Outro von "It takes a fool" plötzlich Streicher hereinschweben oder sich ein wenig öfter als zuvor brummige Bläser durch die Songs ziehen. Deutlich auffälliger ist dagegen die höhere Dichte von Vocaltracks im Vergleich zu den Vorgängeralben. Auf exakt jedem zweiten Song dieser Platte singt Kalkbrenner, immer hübsch im Wechsel mit Instrumentaltiteln. Die Entscheidung verwundert nicht, schließlich haben seine bekanntesten und beliebtesten Stücke – etwa "Facing the sun", "Back home" und vor allem das mit seinem Bruder Paul entstandene "Sky and sand" – stets von seiner Stimme profitiert.
Der Start von "Grand départ" gerät besonders exzellent, mit zwei seiner bisher besten Kompositionen, die gleichzeitig das musikalische Spektrum demonstrieren. "Don't you say" beginnt mit wuchtig stampfendem Bass, der schon bald von träumerischen Bläsern konterkariert wird, was einen interessanten Kontrast bildet. Mit der Zeile "I'm not afraid to let go of it all" schwebt Kalkbrenner nach einer Minute herein, der Song behält bis zum Ende die träumerische Note bei. Das folgende instrumentale "Center to center" ist hingegen mit wimmelnder Überlagerung aller Elemente der clubbigen Seite des Berliners verschrieben und punktet durch seine mitreißende Sogwirkung gegen Ende hin. Würde es durchgehend in der Klasse weitergehen, hätte man das mit Abstand beste Fritz-Kalkbrenner-Album vor sich liegen.
In der Folge nimmt sich "Grand départ" jedoch wieder zurück. Ausgerechnet "In this game" – eigentlich als erste Single in die Rotation geschickt – enttäuscht mangels zündender Einfälle. Auch der Beat aus "Juneau" klingt nicht so wirklich neu. Entschädigend sind jedoch nicht nur gelungene, dynamische Instrumentals wie "Rain parade" oder verträumte Eskapaden wie "Cerulean". Oder dass Kalkbrenner in "A good day" der Versuchung widersteht, der Welt einen weiteren platten Saxophon-House-Track zu schenken, sondern das Stück subtil hält. Vor allem spricht aber für "Grand départ", dass das Album am Stück dank eines gelungenen internen Spannungsbogens als Kopfkino ganz hervorragend funktioniert und gegenüber dem schwächelnden "Ways over water" wieder als Steigerung verbucht werden kann. Manchmal muss es keine weite Reise sein, um das Ziel zu finden.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Don't you say
- Center to center
- Cerulean
- Changing face
Tracklist
- Don't you say
- Center to center
- In this game
- Rain parade
- Again
- Juneau
- It takes a fool
- Cerulean
- Hearts & hands
- Rouleur
- Inside
- A good day
- Changing face
Im Forum kommentieren
musie
2016-10-27 17:29:43
1+2 = 9/10
Armin
2016-10-12 22:11:02
Frisch rezensiert.
Meinungen?
Mister X
2016-09-07 19:14:10
*Hust*
Felix H
2016-08-31 09:05:33
Naja, das ist halt, was er macht. Wenn ich harten Elektro will, ist schon klar, dass ich nicht zu Kalkbrennern greifen sollte. Ebenso ja nicht zu Oasis, wenn ich mir gern 7/4-Takte anhöre. ;-)
musie
2016-08-30 11:34:57
Ach, es muss nicht immer das Komplexe sein. Manchmal tut es auch das Einfachere. Zum Entspannen taugt Fritz Kalkbrenner ausgezeichnet und live fand ich ihn immer ein Gewinn. Bloss weil etwas massentauglich ist/wurde, muss man es ja nicht verteufeln. Die neue Single finde ich bloss mittel, aber mal den Albumkontext abwarten.
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