
Gurr - In my head
Duchess Box / H'artVÖ: 14.10.2016
Das Schweigen der Tauben
Der Mensch hat grundsätzlich vor allem Angst, das Erde und Evolution so mit sich gebracht haben. Vor engen Räumen und weiten Plätzen, vor starrenden Enten und Clowns. Bei Laura Lee Jenkins sind es die Tauben, die sie die Straßenseite wechseln lassen, verriet sie vor Kurzem in einem Interview. Aber weil man seinen Ängsten ja einen nicht zu hohen Stellenwert im Leben einräumen sollte, einigte sie sich mit ihrer Freundin und Band-Mitbegründerin Andreya Casablanca darauf, sich von der Geräuschkulisse der Panikattacken inspirieren zu lassen und kurzerhand ihr Projekt Gurr zu nennen. Darauf, dass die Tauben im Kopf niemals schweigen mögen.
Sicher ist eine Phobie hässlich, und das Leben wäre sicherlich unkomplizierter, wenn es nur bei einer bliebe. Denn eine zweite Angst teilen die beiden nicht nur untereinander, sondern auch mit einer ganzen Reihe anderer junger Bands: die Kategorisierungphobie, die Angst, von der Musikjournaillie in eine Schublade gesteckt zu werden, aus der man so schnell nicht wieder rauskommt. Casablanca und Jenkins wollen einfach keine Riot Grrrls sein. Wegbereiterinnen wie Kathleen Hanna schätzt man zwar, aber sie sei alles andere als eine grundlegende Inspiration für die Ausrichtung ihrer Band gewesen. Vielmehr greift man weiter zurück in der Pophistorie und holt sich Beatles und Ramones ins Boot, Gun Club und Echo & The Bunnymen. Und weil bekanntlich jede aufstrebende Band mit fuzzy Gitarren und garagigem Sixties-Sound das Rad neu erfindet, gebärden sich die Wahlberlinnerinnen unumwunden als Begründer einer komplett neuen Musikrichtung namens First Wave Gurrrlcore.
Wie man das Kind auch taufen mag, Gurr könnten sich auch dem Multiphobia Surf-Punk zuordnen, und es macht immer noch keinen Unterschied. Mit "In my head" ist Casablanca und Jenkins ein großer Wurf geglückt, der die beiden weit vor der Veröffentlichung mit Vorschusslorbeeren überhäufte. Ja es ging sogar so weit, dass man von Menschen gehört hat, die allein wegen der Vorband das Konzert von Kakkmaddafakka besuchten. Nichtsdestotrotz erinnert bereits der Opener "Breathless" nicht zuletzt mit Casablancas anklagender Verve in der Stimme an die anarchistischsten Rotzgörenzeiten von Bikini Kill bis Bleached. Allerdings mit Einschränkungen. Sowohl der Opener als auch "#1985", "Free" und "Klartraum" sind trotzig, ohne aggressiv zu sein. Anspruchsvoll, ohne zu politisieren. "In my head" ist kein Manifest eines Gender-Kampfes, auch wenn der Sound über weite Strecken daran erinnert.
In der ersten Single-Auskopplung "Moby Dick" wird noch deutlicher, dass sich Gurr weniger dogmatisch ausstaffieren, als leichtffüßige Geschichtenerzählerinnen zu sein. Ein Stück verträumter West-Coast-Sound als Erinnerung an die ersten gemeinsamen Aufnahmen in San Francisco. Das Debüt, das mit "Walnuss" auch einen Song auf Deutsch mitliefert, lebt eben von seiner Leichtfüßigkeit. Pragmatisch und angstbefreit kombinieren Casablanca und Jenkins strikten Rock'n'Roll in "Rollerskate", psychedelische Gitarren in "Yosemite"und staubigen Garagerock in "Diamonds" zu einem derart abgebrühten und vielseitigen Erstling, dass es künftig die Berliner Tauben sein sollten, die ehrfurchtsvoll die Straßenseite wechseln.
Highlights & Tracklist
Highlights
- #1985
- Moby Dick
- Walnuss
Tracklist
- Breathless
- #1985
- Moby Dick
- Walnuss
- Yosemite
- Free
- Klartraum
- Rollerskate
- Diamonds
- Computer love
- Song for Mildred
Im Forum kommentieren
Mr Oh so
2017-02-18 14:54:22
Gute Sache.
Armin
2017-02-17 20:38:26- Newsbeitrag
GURR
Video - #1985
Release Date - 16.02.2017
Label - Duchess Box Records
Penibel
2017-02-08 03:12:05
Ich mag die Platte wirklich, aber das Lidl-Logo auf dem Cover stört!
eric
2016-10-14 15:20:08
Finde die Platte auch super!
kashmir
2016-10-14 14:12:22
Toll geschriebene Rezension. Gut gemacht vom Bastian. Vielversprechendes Musikprojekt.
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