Jenny Hval - Blood bitch

Sacred Bones / Cargo
VÖ: 30.09.2016
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Das rote Album

Über Blut im Allgemeinen spricht man selten. Es ist da, es verrichtet seinen Dienst. Erst in Notfällen wird offenbar, wie sehr der Mensch auf diese vielseitige rote Körperflüssigkeit angewiesen ist. Über Menstruationsblut spricht man noch weniger. Ein Abfallprodukt, das per Monatsbinde oder Tampon entsorgt wird. Glaubt man der Werbung, ist das ein hygienischer und beinahe angenehmer Prozess. Die Regelblutung als Tabu? Gibt es doch gar nicht. Wir leben im Reinraum. Was das mit Jenny Hval zu tun hat? Körperlichkeit, Konsum und Entgrenzung sind seit jeher ihre zentralen Themen. Dass sie nun ein Konzeptwerk über Blut produziert hat, wirkt deshalb beinahe logisch. Es hat noch gefehlt.

"Blood bitch" ist trotz seiner überschaubaren Länge ein ziemlicher Brocken. Was sich bereits auf "Apocalypse, girl" andeutete, ist nun endgültig wahr geworden: Hval hat keine Lust mehr auf konventionelle Songstrukturen. Das heißt aber nicht, dass sie ihr Gespür für Melodien verloren hätte – im Gegenteil: "Conceptual romance" ist ein Musterbeispiel für größtmögliche Eindringlichkeit bei gleichzeitig maximaler Reduktion. Jedes Instrument scheint im Hintergrund bleiben zu wollen, um Hvals Stimme den Raum zu geben, den sie braucht. Und die Norwegerin zieht alle Register ihres Könnens: Ihr gelingt das Kunststück, gleichzeitig kraftvoll und verletzlich zu klingen.

"What's this album about, Jenny?", fragt eine Interviewerin am Anfang des tieftraurigen "The great undressing". "It's about vampires", antwortet die Angesprochene spontan. "What? That's so basic!", lautet die überraschte Replik der Fragenstellerin. Vampire sind allerdings trotz ihrer unrühmlich glitzernden jüngeren Vergangenheit noch immer ein starkes Symbol. Hval zelebriert gerade textlich wieder das große Spiel mit den Meta-Ebenen. Immer wieder verfällt sie in intellektualisierende Monologe, die die Dinge zwar beim Namen nennen, aber dennoch viel Spielraum für Interpretation lassen. Glücklicherweise weiß Hval, wann sie loszulassen hat, sodass die Lyrics nicht ganz so aufdringlich wirken wie auf dem Vorgänger.

Die Musik ist stark Ambient-geprägt, nur in gut der Hälfte der Tracks erklingen durchgehend Beats. Weiträumige Flächensounds prägen die Klangästhetik, wobei sich auch immer wieder Alltagsgeräusche in das Dickicht Hvals fein gesponnener Kompositionen verirren. Der Grundtenor ist dabei durchaus beschwingt, was beispielsweise das elegant dahinfließende "Female vampire" zeigt. Gegen Ende blickt die Künstlerin jedoch tief in den Abgrund: Was in den sechs Minuten von "The plague" passiert, ist mit "bipolar" nur unzureichend beschrieben. Die wüste Soundcollage hinterlässt Wunden. So viel Brutalität hat man von der zierlichen Dame noch nicht gehört. Doch genau darin liegt die Magie der Jenny Hval: Wiederholung ist ihr fremd.

(Christopher Sennfelder)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Female vampire
  • Conceptual romance
  • The great undressing
  • The plague

Tracklist

  1. Ritual awakening
  2. Female vampire
  3. In the red
  4. Conceptual romance
  5. Untamed region
  6. The great undressing
  7. Period piece
  8. The plague
  9. Secret touch
  10. Lorna
Gesamtspielzeit: 36:31 min

Im Forum kommentieren

Charlie Brown

2020-10-26 09:20:06

Zeile 2: I need TO KEEP writing..

Charlie Brown

2020-10-26 09:17:19

You must be disgusted
but i need writing because everything
else is death
i'm self-sufficient, mad, endlessly producing
i don't need money, i just need your love
or your approval, anything

Aus "The great undressing"

Charlie Brown

2020-10-25 08:36:54

Höre grade "The great undressing" auf Dauerrepeat. 2 bis 3 Punkte dazu:

1: Video kann ich auf YT nicht sehen. "Jugendgefährdende Inhalte" Passwort leider vergessen, Neuanmeldung erforderlich..blablabla, der ganze Bohei.okay, dann halt nur Audio :)

2: Eigentlich hör ich nur Musik von Frauen, hinlänglich bekannt, Madonna, Haiyti, Hval, Holter (triple H) Wenn Ich Musik von Männern höre, dann aber häufig auch von solchen Kanonen wie Bushido und so :D

Gefangen zwischen Hochkultur und Trash, zwischen Feminismus und Sexismus...wer da nicht irre wird :)

Keine Angst vor den Sirenen

2018-10-14 10:21:53

Wird mir auf ewig ein Rätsel bleiben,dass dieses
wirklich wunderschöne Album es noch nicht mal
auf die hinteren Plätze der Jahrescharts 2016
geschafft hat.
Wenigstens der Thread steht jetzt mal ganz oben

atwd

2017-09-14 14:38:31

ja, wenn sogar scooter mehr einträge bekommen als das hier, dann ist das forum eigentlich am abgrund.

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