C Duncan - The midnight sun
Fat Cat / Al!veVÖ: 07.10.2016
Zwielicht und Präzision
Unwirsch bricht die Dunkelheit über den Herbst herein. Für Chris Duncan, dessen Wohnung in Glasgow ein ganzes Stück vom Polarkreis entfernt liegt, verspricht sie nach einem Sommer mit bis zu 21 Stunden Sonne am Tag nur Gutes. Vorbei die Tage, in denen man sich als Nachtmensch klaustrophobischen Zuständen ausgesetzt sah, während sich der Rest der Welt sklavisch dem Tageslicht unterwarf. Ironischerweise eignete sich C Duncans Debütalbum "Architect" aus dem Jahre 2015 hervorragend für sommerliche Zwecke: Dank lieblicher Instrumentierung und buttercremezarten Harmonien hatte es das Zeug zur Ferienliebe. Zumindest wurde "Architect", obgleich von Kritikern wertgeschätzt, ein wenig als vergänglich, gar als Easy Listening abgetan.
So easy ist es ein Jahr später mit "The midnight sun" nicht mehr – obwohl für den 27-Jährigen wieder einmal alles von leichter Hand ging: Abermals nahm er seine Kompositionen im Alleingang in seiner Wohnung auf und investierte dieses Mal vielleicht 30 Pfund für Kopfhörer. Ein bisschen noch ging für Wein, Kippen und den Stromverbrauch beim Twilight-Zone-Marathonglotzen drauf. Der Rest hingegen ist künstlerische Hochbegabung: Sei es für das Covermotiv, das er wie schon für "Architect" selbst gemalt hat, oder eben für seine Musik, die mit der schnoddrigen, Lo-fi verheißenden Wirklichkeit so gar nichts gemein hat.
"The midnight sun" bewahrt die sakralen Harmonien, setzt sie allerdings weitgehend elektronisch erzeugten, teils beklemmenden Atmosphären entgegen. Dabei zeugt es von reichlich Selbstvertrauen, mit der vollsynthetischen ersten Single "Wanted to want it too" in die Öffentlichkeit zu gehen. Doch hier spielt Duncan seine oftmals überhörte Stärke offensiv aus: Ausdruck und Bedeutung finden sich in behutsamen, diffusen Bewegungen wieder, was im zweiten Refrain geradezu meisterhaft ausgeübt wird. Ganz anders fällt das andere große Experiment aus: "Like you do" gerät dank des wendigen, doch ungewohnt dominanten Schlagzeugs in einen Trott, dessen Überwindung die Katharsis darstellt.
"Other side" schlägt eine der Brücken zum Debütalbum: Rückblickend ist es absurd, dass wenige Synthie-Elemente ausreichen, um vermeintlich leicht verdauliches Geplätscher als den anspruchsvoll komponierten, aufregenden Pop zu begreifen, der er ist. Dabei spricht prinzipiell nichts gegen Musik, die im Hintergrund gut funktioniert, so wie bei "Last to leave". Duncan, dieses Wunderkind, das im Zwielicht seiner methodischen Experimentierfreude mit der Präzision seiner musischen Bildung operiert, hat ein betörendes Werk mit regelrecht synästhetischen Qualitäten geschaffen. Im Zusammenspiel von Perkussion und Wiegenlied-Charakter vermittelt sich das mannigfaltige, überwältigende Gefühl, das man bei einer nächtlichen Autofahrt durch eine Großstadt erlebt: Geborgenheit, Entgrenzung und Kontrollverlust – und das alles gleichzeitig.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Wanted to want it too
- On course
- Last to leave
- Window
Tracklist
- Nothing more
- Like you do
- Other side
- Wanted to want it too
- Who lost
- On course
- Last to leave
- Do I hear?
- The midnight sun
- Jupiter
- Window
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Playdead
2018-12-10 12:47:22
Zu einer grossartigen Entdeckung eine ebenso grossartige Rezension.
Deine Sätze bringen das Hörerlebnis auf den Punkt: Wer wie C Duncan solche Songs kreieren kann, muss wunschlos glücklich sein.
Armin
2016-10-12 22:09:01
Frisch rezensiert.
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