Heim - Palm beach

Tapete / Indigo
VÖ: 23.09.2016
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Days are gone

Anno 2016 reibt man sich nicht selten die Augen ob so mancher Skurrilität. Man muss nicht viele Kilometer zurücklegen, um den realen Wahnsinn zu beobachten: Menschen, die in Grünanlagen stehen und statt des Schäferhund-Rottweiler-Mischlings ihre Drohne per Fernsteuerung Gassi schicken. Ein paar hundert Meter weiter: Drei große Pulks an Twens, die die Innenstadt nur durch die Smartphone-Linse erleben, weil sie virtuelle Monster jagen. Und abends, beim Rockkonzert, sind es immer mehr Typen, die im weißen Hemd, Designer-Sonnenbrille und Pomaden-Matte an der "Power-Station" ihr Smartphone aufladen und dabei Mädels anbaggern, statt vor der Bühne zu stehen. Es ist eine seltsame Zeit, in der man umso ungläubiger dreinschaut, tatsächlich noch solch verwegene Burschen wie Heim zu entdecken.

Drei Jungs aus der süddeutschen Provinz, die sich nicht darum kümmern, was gerade hip ist oder wie man als junge Kapelle heute gefälligst zu musizieren hat. Die sich nicht nur in ihrem Song "Das alte Versteck" auf verbeulte Drums, lärmende Fuzz-Gitarren mit dunklem Einschlag, treibenden Bass und gelegentliche Wutausbrüche besinnen. Als wäre es gerade 1994. Als hätten The Jesus Lizard just letzte Woche eine Platte bei Touch and Go veröffentlicht. Als wären Built To Spill angesagter als Prince oder Madonna. Gut, zugegeben, diese Beschreibung klingt nun doch verdächtig nach dem Gegenpol-Klischee. Und schwer nach Hype um des Hypes Willen, aus Gründen der stilisierten Andersartigkeit. Doch der Hype ist nicht da. Und das ist irgendwo auch schade, denn Heims zweite Platte "Palm beach" ist schlicht und einfach großartig geraten.

Man nehme rein exemplarisch den Opener "Nicht mehr da" und seine vielen Facetten, die stellvertretend für die Kapelle stehen: Zunächst höre und staune man, was Michael Shirer und Florian Bauer schon bis Minute 2:25 an Gitarre und Bass fabrizieren. Klar haben diese Jungs bei Dinosaur Jr. gut zugehört, aber alleine mit welcher Souveränität man hier die Bögen spannt und zu variierenden, Rhythmus gebenden Riffings und Soli ausholt – puh. An Text braucht es bei all der rohen Energie nicht viel mehr als zwei Verse: "Ich glaube alles, was ich sage / Ich bleib' genau der, der ich bin." Als ob das nicht verstörend genug wäre, setzt sich kurz die Stille durch, nur der Bass wummert noch, bevor Sänger Denny Thasler raunend zu sich kommt, mehrmals "Es wird mir jetzt klar ..." haucht und ein Gitarrengewitter lostritt, das nur zu einem Schluss kommen kann: "...ich bin nicht mehr da!" Verloren in der Zeit, und das schon in jungen Jahren.

Wer nach dieser großen Nummer glaubt, "Palm beach" sei eine nette Schrammel-Platte mit ein, zwei guten Songs, der täuscht. Heim haben ihre Platte live eingespielt, takten diese acht Gitarren-Brocken mit erstaunlicher Präzision und haben ein feines Gespür für intensive Laut-Leise-Dynamik. Ob im Finale furioso des über sechsminütigen "Im Keller" oder "Nächstes Mal", einer Stagnations-Ode, die sich immer mehr Schichten aufbürdet und nur noch die Kapitulation zulässt. Ein letzter Appell zum Aufbruch? Nein. "Es lohnt sich nicht!", lautet die simple Antwort. Leidenschaftliche Dekonstruktion hat positivem Denken hier längst den Stecker gezogen. Mit ähnlicher Konsequenz wie zuletzt nur Die Nerven, legen Heim nochmal einen drauf. "Ich glaub ich werd krank" und "Nein" sind wie letzte Rauchbomben, die Gitarren schreien, die Riffs sind unbarmherzig, der Bass kracht – vor lauter Nebel ist der Notausgang nicht zu sehen. "Palm beach" ist ein Abbild der düsteren Gegenwart, eine skurille musikalische Betonlandschaft, nach dessen Genuss man sich bloß noch fragt: Wo geht's denn hier eigentlich zum Strand?

(Eric Meyer)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Nicht mehr da
  • Nächstes Mal
  • Nein

Tracklist

  1. Nicht mehr da
  2. Das alte Versteck
  3. Nächstes Mal
  4. Im Keller
  5. Der letzte Halm
  6. Verliebt verlobt verheiratet
  7. Ich glaub ich werd krank
  8. Nein
Gesamtspielzeit: 36:41 min

Im Forum kommentieren

GerrysMuchte

2021-09-11 15:57:52

Zu früh für Kult?

Deep Cut Friday

2019-06-01 20:48:33

Gestern Abend zufällig beim Instagrind Heim gehört und den Hashtag #Heimband in die Suche eingehackt. Dabei festgestellt, dass man um ne Stunde die ANTIKÖRPER SESSION auf ByteFM verpasst hat, bei welcher - Achtung! - "eine der allerersten Heim-Sessions aus dem Proberaum, die lange vor den beiden Alben "Palm Beach" und "WS" aufgenommen wurde" ausgestrahlt wurde.

https://www.byte.fm/sendungen/antikoerper/2019-05-31/23/heim-kraelfe-gewalt/

Die beiden "neuen" Tracks "Narrator" und "Snooze" müssten die Tage auf den Antikörper Youtube & Soundcloud Kanälen erscheinen!

Tropisch

2018-09-27 14:47:11

Neuer Song

https://heim-official.bandcamp.com/track/tropisch-2

Ganz bestimmt

2018-09-18 19:53:29

https://soundcloud.com/tapete-records/sets/heim-ws-preview

Erste Hörproben der neuen Platte "WS", die am 26. Oktober auf Tapete erscheint.

Vielleicht

2018-07-31 02:07:34

Neues Album und Tour im Herbst!

https://www.facebook.com/tapeterecords/posts/10155386975697307

26.10 / Nürnberg / MUZclub
--> w/ ZENGA
27.10 / Saarbrücken / sparte4
--> w/ Tausend Augen
28.10 / Kusel / Schalander Kusel
29.10 / Marburg / Trauma im G-Werk / Marburg
--> w/ schubsen
30.10 / Mainz / Kulturclub Schon Schön
--> w/ Euternase
31.10 / Bonn / BLA
--> w/ Euternase
01.11 / Hannover/ Galeria Lunar goes Underground
--> w/ Baby Galaxy
02.11 / Hamburg / Astra Stube Musikkultur e.V.
03.11 / Potsdam / Archiv Potsdam
--> w/ Baby Galaxy
04.11 / Berlin / Monarch Berlin
--> w/ I Have No Mouth and I Must Scream
13.12 / CH-Winterthur / Albani Music Club Winterthur
--> w/ OGMH
14.12 / Freiburg / Slow Club Freiburg
--> w/ Trafo
15.12 / Trier / Exhaus / Trier
--> w/ Trafo
04.01 / Weinheim / Café Central
--> w/ Euternase

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