Soundtrack - Tschick
WarnerVÖ: 09.09.2016
Im Kassettendeck des Lada
"Tschick", der Roman, war nicht nur ein großer Verkaufsschlager, die fluffig geschriebene Geschichte eines Roadtrips überzeugte auch auf der inhaltlichen Ebene: Mit Witz und Verve erzählte Wolfgang Herrndorf seine Ausreißer-Story, eine Art "Huckleberry Finn" in der Jetzt-Zeit. Den Erfolg des Romans konnte Autor Herrndorf indes nicht wirklich genießen: Zwar leistete sich der Romancier eine größere Wohnung und auch der Blick auf die Kontoauszüge war nicht mehr mit Bauchgrummeln verbunden, doch all dies verblasste vor dem Hintergrund seiner Glioblastom-Diagnose. Hirntumor. Eine unaufhörlich tickende Zeitbombe im Kopf, der sich Herrndorf nicht beugen wollte: Im August 2013 erschoss sich der Autor, er selbst wollte über den richtigen Augenblick des Abschieds entscheiden. In seinem fantastischen Blog "Arbeit und Struktur", der zudem auch als Buch erschien, beschrieb Herrndorf seine letzten Lebensmonate. Dass nun einer seiner Romane von Fatih Akin verfilmt wurde, ist ein weiterer, posthumer Ritterschlag und der vielfältige, kunterbunte Soundtrack steht dem in Nichts nach.
Die Liste der Künstler ist illuster, sämtliche Herrndorf-Fans haben sich versammelt, um ihr Puzzlestück in dieses Mosaik zu setzen: Dirk von Lowtzow übernahm für seinen Beitrag zum Soundtrack gar den Bandvorsitz der Beatsteaks, Heinz Strunk, Jacques Palminger und Rocko Schamoni zwängten sich wieder in ihre grellen Fraktus-Kostüme und auch Bilderbuch wollten Teil des adoleszenten Roadtrips sein: Willkommen im Kassettendeck des Lada. Mit einem gestohlenen Exemplar ebenjenes Automobils machen sich die beiden Freunde Maik Klingenberg und Andrej Tschichatschow, Tschick genannt, nämlich auf den Weg in die Walachei, vorbei an Müllkippen und Stauseen. Der Soundtrack bemüht sich gar nicht, auch nur ansatzweise so etwas wie Kohärenz aufkommen zu lassen, was natürlich zu einer Story passt, die auch Höhen und Tiefen kennt. So gibt es hier also sommerliche Reggae-Beats, knarzigen Retro-Rock und die allseits bekannte "Ballade pour Adeline" aus der Feder des unkaputtbaren Richard Clayderman. Ein Wechselbad der Gefühle.
Thematisch etwas deplatziert wirkt der Titelsong des letzten K.I.Z.-Albums, der zwar freilich gut anzuhören ist, was allerdings nichts daran ändert, dass komplett offen bleibt, wie die von den Berliner Rappern besungene Gesellschaftsutopie zur Geschichte von Maik und Tschick passt. In der äußerst gelungenen Stereolab-Adaption "French disko" beweist Tocotronic-Vorsteher von Lowtzow hingegen, dass er auch mit einer anderen "Backing-Band" im Rücken ein Meister der stilsicheren Sonorität bleibt. Und die wiedervereinigten Beginner nasalrappen sich im neuen Stück "Thomas Anders" durch folgende sympathische Zeilen: "Alle so Klassenbeste mit tollem Taschenrechner / Ich so Plattentester mit vollem Aschenbecher." Damit kann ja fast nur der dauerpaffende Plattentests.de-Boss Armin L. aus M. gemeint sein, oder? Aber was hat der mit diesem Film zu tun? Naja, auch wurscht. Was hingegen zählt: Wie das Buch ist auch der Soundtrack zur Verfilmung gelungen. Ob der Streifen da mithalten kann, wird dann in den Kinos entschieden. Wer kommt mit?
Highlights & Tracklist
Highlights
- French disko (Beatsteaks vs. Dirk von Lowtzow)
- Canned tomatoes (Courtney Barnett)
- Willkommen im Dschungel (Bilderbuch)
Tracklist
- Intro (Vincent Pope)
- Hurra die Welt geht unter (K.I.Z. feat. Henning May)
- Genius of love (Tom Tom Club)
- Thomas Anders (Beginner feat. Megaloh)
- French disko (Beatsteaks vs. Dirk von Lowtzow)
- Canned tomatoes (Courtney Barnett)
- Car spin (Vincent Pope)
- Ballade pour Adeline (Richard Clayderman)
- Affe sucht Liebe (Fraktus)
- Good better best (Yakoto)
- Out of the black (Royal Blood)
- Tennis (Vincent Pope)
- Goosebumps (Seeed)
- Willkommen im Dschungel (Bilderbuch)
- Waha here we come (Vincent Pope)
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Mr. Orange
2016-09-13 09:43:22
Kommt natürlich nicht an die Originalversion ran, Stereolab waren ja ne unglaublich tolle Band. Aber das macht nix, trotzdem sehr gelungen.
Mr. Orange
2016-09-13 09:38:40
Find die Version gelungen. Besser als so ziemlich alles auf den letzten beiden sterbenslangweiligen Tocotronic-Alben.
Robert G. Blume
2016-09-13 02:34:51
Ich glaub, ich bin mal wieder der einzige, der die French Disko-Version total scheiße findet.
Liegt aber halt daran, dass das Original einfach nicht zu toppen ist, und ein eingedeutschter Text hat noch nie irgendetwas besser gemacht. Und an von Lowtzow, der mich mit seiner manierierten Übeartikulation so derart auf die Palme bringt, dass ich nur noch ausmachen will.
MM13
2016-09-08 12:17:16
ich kenn bis jetzt nur beatsteaks vs.dirk von lowtzow,der song geht mir gerade nicht mehr aus dem kopf.
Armin
2016-09-07 21:21:56
Frisch rezensiert.
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