WIZO - Der

Hulk Räckorz / SPV
VÖ: 12.08.2016
Unsere Bewertung: 4/10
4/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Wer nicht fragt, bleibt stumm

"Der, die, das – wer, wie, was? Wieso, weshalb, warum?" Fans der guten, alten Sesamstraße konnten diese kultige Wortakkumulation schon voller Inbrunst mitsingen, als sie noch brav um den Weihnachtsbaum hüpften. Mitsingen, mitgrölen – das sind Disziplinen, die wie kaum andere auch mit der Sindelfinger Punkband WIZO zu tun haben. 1994 oder 1995 muss es gewesen sein, als man den schwäbischen Irokesenträgern das erste Mal begegnete. Als Teenie, womöglich bei einer Party im Jugendclub. Zu vier Fünfteln abgefüllt mit Gerstensaft, lag man sich zu WIZO-Gassenhauern namens "Raum der Zeit" oder "Das goldene Stück Scheiße" in den Armen. Damals, als ihre Flagschiff-Platte "UUAARRGH!" erschien, schrieben WIZO non-konforme Songs zwischen Gesellschaftskritik und blödeligem Fun-Punk, gerade richtig für den fröhlichen Bier-Pogo oder den Wohlstandspunker-Mittelfinger zwischendurch. Trotz des gerade erst beendeten Balkankrieges stand es gefühlt besser um diese Welt. Zumindest besser als heute, wo es fast monatlich neue Kriege und Krisen gibt, wo Menschen in Wohlstands-Blasen des Finanzmarkts leben und um ihre vermeintlichen Werte fürchten, während die Welt in Trümmer und Armut versinkt und nationalkonservatives, polemisches Geschwätz im Aufwind ist.

Für Punkbands hingegen denkbar günstige Voraussetzungen in diesen Tagen, ihren scharfen Senf mitten in die klaffenden Wunden der Gesellschaft zu schmieren. Bei aller Überspitzung und Polemik, die auch den Herren von WIZO weiß Gott keine fremden Werkzeuge sind, wie "Adagio" mit Pop-Appeal und amüsantem Potpourri an Punk-Klischees zeigt, finden die Schwaben mit "Wahrheit" eine klare Antwort auf all die Hohlbirnen, die in den (a)sozialen Netzwerken krudeste Verschwörungstheorien wie diese hier teilen. "Der" heißt das neue WIZO-Album. Ein tatsächlich neues in der Tat, nachdem das 2014er-Comeback "Punk gibt's nicht umsonst! (Teil III)" hauptsächlich aus altem, recycelten Material bestand, gibt es nun reichlich frischen Zündstoff, denn wegen der politischen wie gesellschaftlichen Ereignisse der letzten Monate ist der Hals von Songschreiber und Sänger Axel Kurth arg angeschwollen.

Dennoch fragt so mancher vielleicht: "Wieso, weshalb, warum" kamen WIZO wieder aus der Versenkung? Klar, die Truppe hat ihre besten Tage seit "Herrénhandtasche" bereits über 20 Jahre hinter sich, dennoch stimmt Versenkung nicht ganz. In unterschiedlicher Zusammensetzung tourt man schon seit 2010 wieder über die Festival- und Clubbühnen der Republik. Doch so sehr sich die Mannen um Kurth provozierend links geben, sich auf der richtigen Seite sehen – auch ein paar Jahre nach dem Live-Comeback schwingt bei WIZO ein Geschmäckle mit. Weil man eben auch gerne die Hand aufhält bei den heutzutage deutlich üpppigeren Gagen für Konzerte und der Merchandise-Kuh dabei fest auf die Euter drückt. Doch schließlich muss jeder von irgendwas leben. Und immerhin: Auf YouTube stellten sie die neue Platte für umme ein.

Leider aber rümpft man schlicht wegen "Der" (Musik) über weite Strecken die Nase. Und wegen Kurths Habitus, die heutigen Botschaften in Worte zu packen, als sei man noch in den Neunzigern: einer Gratwanderung zwischen WIZO-typischer Direktheit, die bei manchen Songs funktioniert, und kindischen Parolen zum Fremdschämen. Für inhaltsleeren Pennäler-Punk wie "Antifa" etwa, bei dessen hohlbrotigen Plattitüden selbst dem 16-jährigen Dorfpunk das Mixery aus der Hand fällt. Als Musiker Anfang 40 kann man das so bei bestem Willen nicht bringen. Das ist nicht Punk, das ist einfach scheiße. Ächselzuckend lassen einen auch "Dummheit", "Wahlkrampf" oder "Bierboot" zurück, deren wichtige Themen wie Rassismus, Bundestagswahl oder die Zwangs-Fluchtroute übers Mittelmeer den lyrischen Tiefflug nicht übertünchen können. Weitaus besser, weil mit Nachdruck und Augenzwinkern, gelingen WIZO das schlagereske "Hässliche Punker", die realistisch-böse Weltzustands-Beschreibung "Apocalypso" oder auch der leicht melancholische Blick in den Rückspiegel in "Chaostage94". Ob diese Platte aber in irgendeiner Art und Weise relevant ist? Wer nicht fragt, bleibt stumm.

(Eric Meyer)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Adagio
  • Chaostage94
  • Apocalypso

Tracklist

  1. Adagio
  2. Wahlkrampf
  3. Verwesung
  4. Bierboot
  5. Antifa
  6. Déja vu
  7. Chaostage94
  8. Trübsal
  9. Lieblinge
  10. Wahrheit
  11. Dummheit
  12. Apocalypso
  13. Hässliche Punker
Gesamtspielzeit: 35:40 min

Im Forum kommentieren

Wieso?

2018-07-10 23:19:52

@Alex: Sorry, aber ich hab überhaupt keine Ahnung, was "antideutsch" eigentlich bedeutet.

Professor Punk

2018-07-10 21:41:14

Supernichts sind auch Kagge!
Im Gegensatz zu den Ramones, den Beatles und den Stones!

nk

2018-07-10 21:33:44

Keine Ahnung, ich finde Antifa einen super eingängigen Song. Und nur weil die einen 40 werden heißt das nicht, dass Wizo nicht auch heute für andere Teenies im Jugendclub funktioniert. Um es mit Supernichts zu sagen: "Ich will nicht so enden wie die ganzen Ramones, erst recht nicht wie die Beatles oder Stones. Aber die Welt in 2 Minuten ist viel besser als der Scheiß
der Jagger's Mick und Paul McCartney heißt."

Alex

2016-08-21 19:49:18

So antideutsch können die gar nicht sein - das "Schwein am Kreuz" hat sich immerhin über einen Juden lustig gemacht.

Rasi

2016-08-21 19:28:24

Also ich finde Apocalypso grandios!

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