Apologies, I Have None - Pharmacie

Uncle M / Cargo
VÖ: 26.08.2016
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Weichet, Ihr Dämonen

Vier Jahre vergehen wie im Flug. Da muss man nicht nur auf Politik und Gesellschaft schauen, wenn einem der schmachvolle Rücktritt von Christian Wulff vom Amt des Bundespräsidenten oder die skandalöse Havarie der Costa Concordia in diesen hektischen, fast panischen Medienzeiten schon Lichtjahre entfernt vorkommen. Nicht das einzige Indiz, dass in vier Jahren ganz schön viel passieren kann. Fragen wir doch mal bei Apolgies, I Have None nach, den sympathischen Briten, die 2012 mit der entzückenden wie lautstarken Hass-Liebesbekundung an ihre Heimatstadt "London" einen charmanten Kritiker-Liebling schufen.

Im Jahr 2014 stiegen Gründungsmitglied und Zweitstimme Dan Bond sowie Stamm-Basser PJ Shepherd aus, ein mittelschweres Erdbeben für Songschreiber Josh McKenzie. Die entsprechend düstere, in sich gekehrte Stimmung hörte man den Stücken ihrer damals veröffentlichten EP "Black everything" wie auch der Split-Single mit Luca Brasi an. Klar, schon "London" wohnte eine gewisse Melancholie inne, eine Tiefe, die besagtes Album qualitativ über den gängigen Punkrock-Output hievte. Doch markierten die personellen Veränderungen bei Apologies, I Have None einen Wandel im Sound wie auch in McKenzies Texten. Er stellte sich seinen inneren Dämonen, hüllte seine Ängste und aufkommende Hoffnungslosigkeit in direkte, düstere, für das Genre fast depressive Songs wie dem tollen "Wraith", das an die hymnische Morbidität von Title Fights letzter Platte "Hyperview" erinnert. Der Opener "Love & medication" macht es nun Liebhabern des Debüts mit Ohrwurm-Faktor und wohlkingendem Piano zunächst noch leicht, sich mit dem hervorragenden Zweitling "Pharmacie" anzufreunden.

Doch schon das von der EP bekannte "The clarity of morning" und die Post-Hardcore-Perle "Anything chemical", in welcher McKenzie nicht zufällig aus Robert Louis Stevensons Klassiker "Dr Jekyll and Mr Hyde" zitiert, machen klar, dass die schlichten Tags "Punk", "Pop Punk" und "Emo" auf ihrer Bandcamp-Seite längst nicht mehr ausreichen, um den weiter fassenden Sound der Truppe zu beschreiben. Deutlich getragener, in sich gekehrter und mit Mut zu Keyboards und Mehrstimmigkeit agieren Apolgies, I Have None etwa im wunderbar lethargischen "Crooked teeth". Die zehn Songs auf "Pharmacie" sind weniger kompakt, brechen häufig aus genretypischen Strickmustern aus, entwickeln sich von leise zu laut, wie das feine "Everybody wants to talk about mental health". Nach Agitation folgt hier Kapitulation, sie mündet in ein stoisches Zur-Ruhe-Kommen, auch in "It's never the words you say". Manchmal legen die Briten in filigraner Manier aber bloß die Zündschnur aus für ein episches Gitarrenfinale, wie im über achtminütigen Brecher "Killers", der heftigst Explosions In The Sky und anderen Postrock-Größen nacheifert.

Lauscht man den Lyrics jedoch allzu aufmerksam, könnte man fast Angst kriegen um diesen jungen Burschen am Mikrofon. "The curve in the flow of the smoke / I follow it home and leave behind a world that never seems to make much sense / Sink into the only place / That ever quells the static in my head", heißt es in "Crooked teeth", während das epische "A pharmacy in Paris" ausgerechnet aus Bret Easton Ellis' "American psycho" zitiert: "You could take my hand and feel my flesh gripping yours / But I simply am not there." Ungeschminkt schildert McKenzie Angstzustände vor dem Stillstand, aber auch vor der ungewissen Zukunft. Und beschreibt im Hinblick auf die verabreichte Medikation, die ein solcher Verfall geistiger Gesundheit nach sich zieht, das ständige Suchen nach Orientierung und Halt – aber zum Glück auch den Willen zum Aufbruch: "I know it's fucked up / I know it’s a cold world / Turn our backs and leave, we could just turn our backs and leave!" Wer sein Seelenleben so unverblümt und mitreißend auf den Asphalt kotzt, dessen Dämonen werden verschwinden. Hoffentlich wie im Flug.

(Eric Meyer)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Wraith
  • Anything chemical
  • Crooked teeth
  • Killers

Tracklist

  1. Love & medication
  2. Wraith
  3. The clarity of morning
  4. Anything chemical
  5. Goodbye, peace of mind
  6. Crooked teeth
  7. Everybody wants to talk about mental health
  8. It's never the words you say
  9. Killers
  10. A pharmacy in Paris
Gesamtspielzeit: 46:15 min

Im Forum kommentieren

Logarythms

2018-07-30 20:19:48

Wahnsinnig gutes Album, immer noch. Läuft seit dem Release mindestens 1x pro Woche, ohne dass auch nur ansatzweise Abnutzungserscheinungen zu erkennen sind. Vor allem die zweite Hälfte (ab Crooked Teeth) boxt mich jedes Mal komplett weg.

Es mag sicherlich objektiv 'bessere' Songs zum Thema Depression/Mental Health geben, aber so gut wie vom Dreiergespann 'Crooked Teeth-Mental Health-Its never the words you say' habe ich mich echt noch nie verstanden gefühlt. Und dann noch dieses fulminante Ende mit 'A Pharmacy in Paris', welches auch die letzte Hoffnung einer abschließenden Katharsis ins Nichts laufen lässt, einfach großartig (hier sei auch nochmal ausdrücklich das passende Musikvideo empfohlen).

01. Love & Medication 8/10
02. Wraith 8/10
03. The Clarity Of Morning 9/10
04. Anything Chemical 8/10
05. Goodbye, Peace Of Mind 7/10
06. Crooked Teeth 10/10
07. Everybody Wants To Talk About Mental Health 10/10
08 It's Never The Words You Say 10/10
09. Killers 9/10
10. A Pharmacy In Paris 10/10

Gesamtwertung: 10/10, alleine schon wegen der Langzeitwirkung

Logarythms

2017-10-15 17:09:09

Wem das Album gefällt, der sollte auch mal in die Debut-EP der neuen Band von Ex-Gitarist/Sänger Dan Bond reinhören:

https://myelinldn.bandcamp.com/album/reservoirs

Ähnlich düster und und vielleicht noch verzweifelter als das (großartige) Apologies Album.

The MACHINA of God

2016-10-15 21:24:41

"WHY CAN'T YOU JUST SHUT UP FOR A MINUTE??" :D

Logarythms

2016-10-14 21:32:59

Oder "Everybody Wants To Talk About Mental Health". Ich hab da beim Ausbruch immer noch jedes Mal Gänsehaut

eric

2016-10-14 20:48:15

Ja, das Teil braucht ein bisschen. Aber dann. Der letzte Song "A Pharmacy in Paris" - einfach saugut.

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