Omar Rodriguez-Lopez - Corazones

Item: Corazones
Rating: 8
Author: Felix Heinecker

Ipecac
VÖ: 29.07.2016

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Führe mich sanft

Manchmal möchte man sich selbst, trunken vor Selbstbewusstsein, auf die Schulter klopfen und skandieren: "Hast Du wieder gut vorhergesehen!" Anlässlich von "Sworn virgins", der ersten Ausgabe eines zwölfteiligen Veröffentlichungsmarathons vom Omar Rodriguez-Lopez, fragte dieser Rezensent, was denn nun kommen sollte – käsiger Pop oder krude Experimente? Nur wenige Tage später sollte "Running away", die erste Single des Nachfolgers "Corazones" ("Herzen"), die Antwort geben: tatsächlich die Pop-Variante. Ohne die Entspanntheit von "Octahedron" oder die Direktheit von "Antemasque" in Frage stellen zu wollen – aber so melodieverliebt, zugänglich und poppig hat man von Rodriguez-Lopez noch nie Musik serviert bekommen. Es ist alles so einfach – aber keinesfalls trivial.

"Corazones" enthält Stücke, die von seiner im Entstehungszeitraum verstorbenen Mutter inspiriert wurden und eigentlich einen Film über Verluste, Ängste und Unsicherheiten begleiten sollten. Jener kam nie zur Vollendung, und so versauerten die Tracks bis vor kurzem im Archiv. Eine undenkbare Verschwendung. Denn fernab von jeglicher Zurschaustellung von Spielfähigkeiten oder komplizierten Songgebilden hat Rodriguez-Lopez ein fantastisches Kleinod aus latino-infiziertem Folk vorgelegt. Wie Beck, der nach persönlicher Tragödie 2002 mit "Sea change" unerwartet mit seinem ironischen Slackertum brach und sein Seelenleben offenbarte, nimmt Rodriguez-Lopez hier die Maske des Gitarrengottes ab und teilt Gefühle ohne Distanz und mit dramatischer Geste mit.

Dazu passen die Lyrics, die weitgehend ohne Metaphern auskommen. Keine "poachers in your home", kein Wandern in den "darkest of your furthest reaches". Für eine ungeschmückte Zeile wie "What do you want me to do to make you love me?" brauchen Omar-Anhänger durchaus Gewöhnungszeit. Doch die Songs packen zu: "We feel the silence" fräst sich mit der mantraartigen Wiederholung seines Titels ins Hirn, "Certainty" kommt schwerfällig daher und besticht durch unglaubliche Eindringlichkeit. Währenddessen erscheint "Sea is rising" im dezenten Flamenco-Gewand, eine große Steigerung gegenüber der matschigen Version auf "Unicorn skeleton mask", welches 2013 erschien. Und mal ehrlich: Das schmissige "Five different pieces" oder das schlafliedartige "Lola" hätte Get Well Soons Konstantin Gropper auch nicht von der Bettkante geschubst.

Der intensivste Moment gelingt Rodriguez-Lopez mit "It was her dead heart", auf der Tracklist in zwei Teile gehauen, das gespenstische Outro vom Rest des Songs abgetrennt. Dieser besitzt die schönste und ergreifendste Melodie, die dem Texaner seit langer, langer Zeit eingefallen ist. So wie jene aus den seligen Zeiten von "De-loused in the comatorium" und "Frances the mute", nur eben musikalisch mit komplett anderen Mitteln. "Sworn virgins" mag ein gutes Appetithäppchen gewesen sein, aber nach dieser folgenden faustdicken Überraschung des Workaholics steht das geplante Dutzend Alben in einem ganz anderen Licht. Als nächstes dann die kruden Experimente?

(Felix Heinecker)

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Highlights & Tracklist

Highlights

Running away
It was her
Sea is rising
Certainty
Five different pieces

Tracklist

We feel the silence
Running away
It was her
Dead heart
Lola
Sea is rising
Certainty
Arrest my father
Some sort of justice
Five different pieces
If I told you the truth I would be made of lies

Gesamtspielzeit: 34:59 min

Im Forum kommentieren

Plattenbeau

2016-08-08 12:05:36

"We Feel The Silence" verwendet die gleichen Akkordfolgen wie Bryan Ferry's "Don't Stop The Dance". Trotz oder gerade deswegen guter Song.

N.Cave

2016-08-07 05:25:19

Certainty isn't so bad at all.

The MACHINA of God

2016-08-04 15:23:22

"gefühlte 234 Noise-Frickel-Electronica-EffekteUndNochMehrEffekte-Alben"

:D

Mir gefällt es eigentlich auch sehr gut. Und definitiv das erdigste Soloalbum, was er je gemacht hat.