Russian Circles - Guidance

Sargent House / Cargo
VÖ: 05.08.2016
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Der Morgen kann kommen

Der Morgen lässt auf sich warten. Lang war die Nacht, dunkel und kalt. Aus einer leichten Ahnung wird nur zögerlich Gewissheit. Schwarz zu grau zu blau, die alte Leier. Von weit weg erklingen sacht gezupfte Gitarrensaiten. Aus einzelnen Tönen werden Tonfolgen. Der Verstand ergänzt sie um ein Gefühl. Als sich schließlich endlich die Sonne über den Horizont schiebt, ist der ganze Körper auf diesen Moment vorbereitet. Wohl wissend, dass es sich an diesen Moment eines Tages zu erinnern gilt. Aus leise wird laut, aus Dämmern wird Donner. Schwer wiegen die Trommelschläge, die Dave Turncrantz seinem Schlagzeug entlockt. "Vorel" ergießt sich über den Hörer wie das erste Licht eines neuen Tages. Und Russian Circles fangen genau da an, wo sie aufgehört haben.

Deren neues Album "Guidance" fügt sich nahtlos in die an Ausfällen denkbar arme Diskografie der amerikanischen Band ein. Wieder gehen die Tracks fließend ineinander über, wieder erzeugt das Trio eine einzigartige Verbindung zwischen Abgrund und Katharsis, indem es Brücken aus Lärm errichtet. Elegische, effektdurchtränkte Tremolopassagen wechseln sich mit Riff-Breitseiten der Extraklasse ab, ohne dass auch nur eine Sekunde Langeweile aufkommt. "Mota" zelebriert etwa das altbekannte Spiel des hinausgezögerten Ausbruchs, indem zunächst gezielt falsche Fährten gelegt werden, bevor alle Parts in ein furioses Finale münden.

Das, was Russian Circles so einzigartig macht, ist ihr Gespür für schwebende Harmonien. Wenn beispielsweise in "Afrika" eine zunächst unscheinbar wirkende Melodielinie sich immer weiter aufplustert, stellen sich die Nackenhaare in weiser Voraussicht auf. Da kommt noch was. Und wie es kommt. Machtvoll überlagern sich die Schichten aus verzerrten Gitarren und tonnenschweren Rhythmen, welche durch eingestreute Doublebass-Akzente an Schärfe gewinnen. In dramatischer Zuspitzung werden die Abstände zwischen den Einschlägen immer kürzer. Tonarten wechseln, ein Sturm bricht sich Bahn.

Doch die mutwillige Zerstörung ist weiterhin nicht die Sache der Band. Konsequent führt sie ihre Ideen zu Ende. Die meisten Tracks enden nicht mit einem großen Knall, sondern mit melancholischen, in die Leere deutenden Akkordfetzen. Das mag nicht sonderlich spektakulär sein, schön ist es aber. Während andere Genrekollegen versuchen, sich des engen Korsetts aus Crescendo und Noise-Armageddon zu entledigen, schnüren Russian Circles die Fäden enger. Dass dies funktioniert, liegt am großen Einfallsreichtum der drei Musiker und deren Mut, sich ganz dem Augenblick hinzugeben.

Egal, ob in ruhigen Momenten wie "Overboard" oder zügellosen Ausbrüchen wie "Calla": Die drei Instrumentalisten sind auch im Jahr 2016 noch relevant, weil sie verstanden haben, dass nicht der Sound, sondern die Musiker die Musik machen. Innovativ sind nur wenige Momente auf "Guidance", überzeugend aber beinahe alle. Die Intensität mancher Stücke weckt Erinnerungen an Deafheaven oder Mono, was nun wirklich keine unerwünschten Assoziationen sind. Russian Circles sind im wahrsten Sinne des Wortes heavy. Und schwer in Ordnung noch dazu. Der Morgen kann kommen.

(Christopher Sennfelder)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Vorel
  • Afrika
  • Calla

Tracklist

  1. Asa
  2. Vorel
  3. Mota
  4. Afrika
  5. Overboard
  6. Calla
  7. Lisboa
Gesamtspielzeit: 41:14 min

Im Forum kommentieren

testplatte

2021-04-17 14:24:33

ich bin mit dem album kürzlich (erst) in die band eingestiegen, das war auch eher willkürlich gewählt und ich finde es auch sehr großartig. würde VOREL und MOTA noch nennen wollen als besonders herausragend.

bin auch minimum bei 8/10 - stimmungsabhängig

Leech85

2021-04-17 13:49:45

Ich bin mir nicht ganz sicher ob dieses Album für mich sogar Ihre beste Platte ist. Nach den Durchhängern Memorial und Empros, dachte ich nicht, dass die Band nochmals zu so einem Album fähig ist.
Aber da sind Perlen drauf wie Afrika und Lisboa die für die Ewigkeit sind.
Für mich ne 8/10 und somit auf gleichem Niveau wie das Debut und die Station.
In Blood Year höre ich mich nun noch mehr rein.

8hor0

2016-08-29 13:24:15

zuerst denke ich bei dieser band immer: ok, alles schon mal gehört. aber nach und nach erschließen sich immer wieder neue melodien und eindrücke. wie machen die das? :)

8/10

keenan

2016-08-07 09:27:06

reiht sich nahtlos in die gute diskografie der band ein. afrika ist anwärter auf song des jahres.

noise

2016-08-06 19:09:43

Weis auch nicht, aber kann mit der neuen Scheibe nicht viel anfangen.
Kann mich seit der "Geneva" nicht mehr für die Band begeistern.

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