Billy Talent - Afraid of heights

Warner
VÖ: 29.07.2016
Unsere Bewertung: 5/10
5/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Fünfe gerade

Wenn eine Dekade vergangen ist, ein zehnter Geburtstag naht, erinnert man sich mitunter besonders lebhaft, wie das damals war. In diesem 2006 zum Beispiel, als Deutschland bei der Fußball-Heim-WM schwarz-rot-gülden erstrahlte und tatsächlich als weltoffenes Land auftrat – unbelastet von Hass und Hetze im Netz und fremdenfeindlichen Angst-"Spaziergängen". Damals, als Billy Talents "II" erschien und die Kanadier, die zuvor mit dem testosterongeladenen, aber ohne Frage tollen Debüt sämtliche Kritikerherzen eroberten, endgültig zu einer der fettesten Rockbands auf dem Erdball machte. Wie etliche durch die Decke geschossene Künstler durchliefen auch Billy Talent nach dem Gipfel kleinere und größere, persönliche und unpersönliche Talsolen. Genervte Kritiker, die "III" nur noch wenig Existenzberechtigung zollten, schienen gegenüber schwindender Motivation und vor allem der schweren Multiple-Sklerose-Erkrankung von Drummer Aaron Solowoniuk das kleinere Übel. Tragisch natürlich, dass Solowoniuk derzeit nicht am Schlagzeug sitzen kann, er wird von Alexisonfire-Mann Jordan Hastings vertreten.

Nachdem so viel Mist passierte, brauchte es im Jahr 2012 einen Befreiungsschlag, der den Kanadiern mit dem teils wütenden "Dead silence" sogar einigermaßen frisch gelang. Entgegen der Tradition kam der Albumtitel ohne Nummerierung daher – für viele zunächst die größte Sensation. War hier tatsächlich eine neue Billy-Talent-Ära angebrochen? Zumindest suggerierte auch so manches Stück von "Dead silence", dass Billy Talent wieder Spaß an ihrer eigenen Sache hatten, befreiter zu Werke gingen, andererseits auch nachdenklichere, tiefgründige Songs wie "Swallowed up by the ocean" zuließen. Die Ära-Frage indes ist mit dem fünften Album "Afraid of heights" – einer, um das vorweg zu nehmen, ziemlich überraschungsarmen Angelegenheit – nicht wirklich zu beantworten. Schon der Opener "Big red gun" hält als Pars pro toto her: Zunächst passt das ganz passabel, zetern druckvolle Gitarren mit pointierten Strophen um die Vorherrschaft, rumpelt das Schlagzeug – doch dann, nach zwei Minuten, vergisst das Stück Melodie und Drive, beschränkt sich auf Sänger Ben Kowalewiczs Gekeife und positioniert nervtötende Background-Shoutings in Hülle und Fülle. Warum?

Anders der zwar nicht wirklich innovative Titelsong, der mit bandtypischem Songwriting, doppelt geschichtetem Refrain und gelungener Steigerung aber zumindest die langjährigen Weggefährten einsammeln dürfte. Ebenjene wird auch der straighte Rock'n'Roll von "Louder than the DJ" abholen, bzw. sie zum Lostreten von Staubwolken vor den Festival-Bühnen animieren. Problem: Durch seine effiziente aber ebenso brutale Simplizität drückt dieser Ohrwurm bereits nach drei, vier Durchgängen jeglichen Hoffnungen die Luft ab, die der gereiften Band ein subtileres Songwriting zutrauten. Nervig! Tatsächlich leicht anders ist das trockene "The crutch", hat aber außer einem kleinen Flirt mit einem Bluesrock-Riff wenig Fesselndes zu bieten. Und weil das behäbige, teils im Hardrock verwurzelte "Rabbit down the hole" einen zu langen Atem hat, bevor es seinen besten Part am Ende schmerzbefreit ausfadet (!), bleibt mit "Ghost ship of cannibal rats" nur noch ein halbwegs annehmbarer Song in der enttäuschenden ersten Albumhälfte – und auch der kommt nicht an die Spielfreude früherer Tage heran.

Als wollten Billy Talent diesen äußerst halbgaren Eindruck einfach wie Falten aus dem Karohemd bügeln, kommt die zweite Albumhälfte (trotz lahmer Synthie-Reprise des Titelstücks) deutlich besser aus dem Starthäuschen: Und zeigt dabei mal eben aus der Hüfte, dass ein hymnischer Punkrock-Song mit ein bisschen Garagendreck ("Time-bomb ticking away"), simpler Stadionrock ("This is our war") oder melodietrunkener Pop-Punk mit Tanzeinladung ("Leave them all behind") Spaß bringen kann. Vor allem aber ist es diesem kleinen Epos namens "February winds" zu verdanken, dass "Afraid of heights" nicht komplett unter den Radar rutscht: ein auf verquerer Gitarre lauernder, vor Energie schäumender und im feinen Refrain erfreulich aufflammender Song: "Light up your broken matches / Open your hearts to action / We all need second chances", apellieren Kowalewicz und Co. mit letzter Vehemenz – vielleicht im Bewusstsein, die zweite Chance, die viele ihnen nach "Dead silence" tatsächlich einräumten, nicht wirklich genutzt zu haben. Für Album Nummer fünf gehen unterm Strich gerade so noch Fünfe gerade.

(Eric Meyer)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Afraid of heights
  • Time-bomb ticking away
  • February winds

Tracklist

  1. Big red gun
  2. Afraid of heights
  3. Ghost ship of cannibal rats
  4. Louder than the DJ
  5. The crutch
  6. Rabbit down the hole
  7. Time-bomb ticking away
  8. Leave them all behind
  9. Horses & chariots
  10. This is our war
  11. February winds
  12. Afraid of heights (Reprise)
Gesamtspielzeit: 47:24 min

Im Forum kommentieren

Gutes vom Alten!

2016-08-05 13:29:20

Zu schade ob der ersten Hälfte. Das Album beginnt unglaublich schwach, fährt aber mit "Time Bomb Ticking Away" richtig stark in die zweite Hälfte - ab da kracht es meiner Meinung nach dann durchgehend mit einem tollen Song nach dem anderen.

V.a. was "February Winds" betrifft stimme ich der Rezension 100% zu - da perlt sie wieder die D'sa x Kowalewicz Magie. Was für ein Opener das gewesen wäre, verdammt!

eric

2016-08-02 22:33:07

Die 8/10 für "Dead silence" war nicht von mir. Hätte wohl 6/10 (gut mit leichten Schwächen) gegeben. Diese hier ist gerade so durchschnittlich.

Beefy

2016-08-02 19:40:00

Mochte die Band eigentlich nach ihrem Zweitling nicht mehr. Aber "Leave Them All Behind" ist schon ziemlich grosses (Pop) Kino!

@eric meyer

2016-08-02 18:06:18

"Nachdem so viel Mist passierte, brauchte es im Jahr 2012 einen Befreiungsschlag, der den Kanadiern mit dem teils wütenden "Dead silence" sogar einigermaßen frisch gelang"

Einigermaßen erfrischend... Eine 8/10 ist also einigermaßen erfrischend. Hab nicht reingehört... Billy talent sind naja... "Okay". Dead Silence war aber schon ziemlich gut. Also wieso dann hier so abwertend... Vorurteilsfrei? Daher eher eine eher nicht lesenswerte Rezension.

Affengitarre

2016-08-02 09:25:15

Papa Roach ist mir "Last Resort" ganz vorne dabei. :D

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