The Avalanches - Wildflower
XL / Beggars / IndigoVÖ: 08.07.2016
Schöne alte Welt
Oh, since they left us, we found the world so new – was sind auch schon 16 Jahre? So lange ist es her, seit die australischen Plunderphonics-Pioniere von The Avalanches ihr erstes, einziges und, ja, einzigartiges Album "Since I left you" veröffentlicht haben. Die wundervolle Sample-Sammlung mitsamt der zeitlosen gleichnamigen Single und dem dazugehörigen Musikvideo ist unter Kennern längst Kult – und Grund für zahlreiche Episoden verstärkten Herzklopfens und darauffolgender Seufzer. Denn der Nachfolger des Erstlings war gut zehn Jahre in der Mache, bis er endlich, endlich, endlich auf die Welt losgelassen werden sollte. Das muss man auch erstmal nachmachen: Ein fantastisches Debüt raushauen und sich danach für mehr als eineinhalb Jahrzehnte verkrümeln. Kein Wunder, dass einige Unwissende heutzutage stirnrunzelnd fragen: Ava-wer? So hört hin und lasst Euch verzaubern.
Denn bei The Avalanches ist alles etwas anders, alles etwas wahnsinniger, alles etwas verrückter. Die kündigen ihr zweites Album "Wildflower" an und warten mit der Veröffentlichung dann doch noch quälende sechs Wochen – und das in einer Zeit, in der Spontan-Releases quasi das neue Schwarz sind. Die laden Gäste wie Indie-Liebling Father John Misty, Chillwave-Experte Chazwick Bundick alias Toro Y Moi oder die Rapper Danny Brown und Biz Markie ins Studio ein, verbannen einen wie Jens Lekman aber wieder vom Endprodukt, weil er nicht zu dessen Vibe passt. Die vereinen Samples von Queens Of The Stone Age, The Beatles, The Beach Boys und dem Musical-Film "The sound of music" – um nur einige zu nennen – und schaffen es, dass trotzdem alles wie aus einem Guss klingt. Die wählen als Artwork eine psychedelisch-poppig aussehende US-Flagge aus und lassen diese tatsächlich von einer vielprämierten Stickerin in Handarbeit erstellen, anstatt sich mit einem digitalen Bildchen zufrieden zu geben.
Dass jene Flagge der vom Protestalbum "There's a riot goin' on" von Sly & The Family Stone aus dem Jahr 1971 ähnelt, ist kein Zufall. Auch The Avalanches protestieren, zumindest fühlt es sich stellenweise so an. Aber viel friedlicher. Und spaßiger. Und fröhlicher. Ist das dann überhaupt noch ein Aufstand? Tatsache ist: Wer glaubt, dass auf das über jeden Zweifel erhabene Debüt und 16 Jahre Wartezeit nur die große Enttäuschung und der Abgesang einer einst geliebten Band folgen kann, irrt gewaltig. "Wildflower" ist ein vertonter Triumphzug, der Soundtrack der schönen neuen Welt, die sie einst in der Single "Since I left you" besangen – und gleichzeitig auch jener der schönen alten Welt, in die sie immer wieder zurückzureisen scheinen: Der glückselige Hippie-Pop von "Sunshine" zieht sich ebenso ein Siebzigerjahre-Gewand über wie das gospelstarke "Harmony", das repetitive "If I was a folkstar" mit Toro Y Moi hinter dem Mikro stattet hingegen den aus der Reihe tanzenden Neunzigern einen Besuch ab. In die groovt sich auch HipHop-Legende Biz Markie im Krümelmonster-Rap "The noisy eater", das nicht nur äußerst geräuschvoll zubeißt, sondern auch gleichzeitig mit einer Beatles-Referenz aufwartet. "Come together", sangen die ja schon 1969. Auf "Wildflower" kommt zusammen, was zusammen gehört. Aber nicht nur.
Wer glaubt, dass es nur ein paar clever arrangierte Samples zu hören gibt, sollte sich eines Besseren belehren lassen. Abgesehen davon, dass The Avalanches hier tatsächlich auch Originalmusik produziert haben – das von Mercury-Rev-Frontmann Jonathan Donahue unterstützte Album-Highlight "Colours" etwa kommt komplett ohne Sample aus –, ist die Kombination der verschiedenen Stile und Elemente wie schon auf "Since I left you" reines Gold wert. Die Verschmelzung von Pop, Rap, Bigband und Musical in der Leadsingle "Frankie Sinatra" erinnert ebenso stark an die vielen Facetten eines Kaleidoskops wie das düster durch die Nacht marschierende "The wozard of Iz", das immer wieder von hauchzarten, gar zerbrechlich wirkenden Folk-Passagen unterbrochen wird. So gekonnt zwischen Größe und Größenwahn wie in "Live a lifetime love" wandelt man nicht einfach nebenbei, während "Stepkids" der Melancholie luftig und leicht auf der Nase rumtanzt, bis der Fall auf ebendiese fast unausweichlich scheint. Aber nicht für The Avalanches.
Wie schon auf ihrem ersten Album verweigern sich die Australier einer Schublade. "Wildflower" klingt weder wirklich alt noch neu, weder australisch noch amerikanisch noch europäisch oder sonst einer Region zugeordnet. Und wie damals schon hört man auch "Wildflower" die Leidenschaft für Musik jeglicher Art an. Überhaupt: Mehr Liebe zum Detail geht kaum. Die halluzinogene Achterbahnfahrt von "Subways" ist berauscht von Funk, Disco, Pop, Rock und Rap, alles in einem, und trotzdem erstaunlich homogen. In ähnlich vielen und schillernden Farben präsentiert sich auch "Kaleidoscopic lovers", das sich in seinem Verlauf von knapp vier Minuten hörbar mehrmals selbst durchschüttelt und doch immer auf Kurs bleibt. "Zap!" hingegen ist mit gerade mal zwei Minuten eher ein Interlude in diesem insgesamt einstündigen Meisterwerk und dennoch eine wohlverdiente und gern angenommene Verschnaufpause. Die verbringt man am besten auf dem Rücken liegend, in irgendeinem Feld fernab jeglichen Ärgers. Es stimmt beides: Die Welt ist schön neu, schön alt – und mit The Avalanches stets ein bisschen schöner.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Frankie Sinatra (feat. Danny Brown & MF Doom)
- Subways
- If I was a folkstar (feat. Toro Y Moi)
- Colours (feat. Jonathan Donahue)
- Live a lifetime love
- Stepkids (feat. Jennifer Herrema & Warren Ellis)
Tracklist
- The leaves were falling
- Because I'm me
- Frankie Sinatra (feat. Danny Brown & MF Doom)
- Subways
- Going home
- If I was a folkstar (feat. Toro Y Moi)
- Colours (feat. Jonathan Donahue)
- Zap!
- The noisy eater (feat. Biz Markie & Jean-Michel Bernard)
- Wildflower
- Harmony
- Live a lifetime love
- Park music
- Livin' underwater (is something wild)
- The wozard of Iz (feat. Danny Brown)
- Over the turnstiles
- Sunshine
- Light up
- Kaleidoscopic lovers
- Stepkids (feat. Jennifer Herrema & Warren Ellis)
- Saturday night inside out (feat. Father John Misty & David Berman)
Im Forum kommentieren
Z4
2022-11-18 17:27:02
Die heimliche 10/10 der 10er.
The MACHINA of God
2019-01-08 20:32:29
Sehe ich acuh so. Hab ich im Hitzejuli im tropischen NYC-Urlaub immer gehört. "I walk on the subway...". Ja, schon toll. Würde mich echt über ein neues Album freuen.
Nun
2019-01-06 17:57:59
was meint ihr kommt da dieses Jahr schon der Nachfolger?
find's mittlerweile schon recht stark funktioniert natürlich erst so im Sommer richtig gut.
Debüt find ich aber noch en ganzes Stück besser.
Aber schön das der Nachfolger mehr als 15Jahre später so ne Qualität hat.
Wirklich gelungenes Comeback!
Fiep()
2018-05-07 23:37:59
Hm, erst einen durchgang. Es ist okay, es klingt wie eine etwas weichgespültere variante von avalanches, die besser zur hintergrundbeschallung und zum "chillen" geeignet ist, aber weniger kanten und hacken hat.
Nicht schlecht, aber derzeit nichts das mich auf dauer zurückkommen lassen wird. hm...
Fragand
2018-05-06 21:49:16
Und findest du es gut?
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