Paul Simon - Stranger to stranger
Concord / UniversalVÖ: 03.06.2016
Immergrün
Manche Dinge verlernt man nicht, wenn man sie einmal beherrscht hat. Schwimmen, Fahrrad fahren, Steuererklärungen machen zum Beispiel. Ob das auch für das Songwriting gilt, ist dagegen diskutabel. Die Liste der Künstler, die irgendwann den Blick fürs Wesentliche verloren haben und sich in die Vergessenheit komponierten, ist lang. Paul Simon steht nicht darauf. Wenngleich es in seiner Karriere einige Durststrecken gab, hat sich der bescheidene Barde immer wieder an den eigenen Haaren aus dem Sumpf gezogen. Diese sind mittlerweile ergraut, mit den Füßen steht er jedoch fester denn je auf stabilem Untergrund.
Sein dreizehntes Soloalbum "Stranger to stranger" gehört zu den experimentelleren Veröffentlichungen des Mannes, der dereinst mit Art Garfunkel die Folkwelt auf ewig veränderte. Ähnlich wie bei seinem größten Erfolg "Graceland" dominieren polyrhythmische Arrangements und weltmusikalische Einflüsse. Das allein macht aber natürlich noch keine gelungene Platte. Dafür werden die richtigen Songs benötigt, derer Simon anno 2016 glücklicherweise eine ganze Menge im Gepäck hat. Dargeboten in beeindruckender Souveränität und Eleganz sind die Stücke auf "Stranger to stranger" ein weiterer Beweis dafür, dass der US-Amerikaner sein Handwerk meisterlich beherrscht.
Der Titelsong wartet etwa mit jener sanften Melancholie auf, die ihm dereinst die Herzen der Blumenkinder zufliegen ließ. Im Stile von "50 ways to leave your lover" rezitiert Simon düstere Verse, während die Musik kunstvoll Jazz- und Pop-Elemente verbindet, ohne dabei in seichte Gewässer abzudriften. Auch das sakrale und mit Streichern, Bläsern und Sitarklängen veredelte "Proof of love" zelebriert die Unscheinbarkeit, deren Schönheit sich erst bei genauerem Hinhören offenbart. Wenn der Song sich zum Refrain hin öffnet, ist Gänsehaut garantiert. Altbacken oder gar altersmüde klingt hier genau gar nichts.
Was auch an Simons ewig jugendlicher Stimme liegt: Von Brüchigkeit fehlt jede Spur. Die stets volltönende und transparente Produktion macht zudem des Sängers neues Werk zu einem echten Genuss fürs Ohr. Das Akustikgitarren-Intro von "In the garden of Edie" klingt beispielsweise so intim, dass man sich im selben Raum mit Simon wähnt. Wunderbar nonchalant sind auch die Gitarrenlicks, um die "The riverbank" errichtet wurde. Ein Hauch des Wüstenblues von Tinariwen durchweht den Song, doch Simon schlägt einen Haken, der beeindruckt: Langsam, aber unaufhaltsam übernehmen sphärische Klänge das Regiment. Wenn der Höhepunkt eines Tracks seine leiseste Stelle ist, dann ist das alles mögliche, aber sicher nicht alltäglich.
Wundervoll sind auch die beiden Uptempo-Nummern "Wristband" und "The werewolf". In Ersterem mimt Simon den Türsteher: "If you don't have a wristband, you can't get through the door." Man kann das Augenzwinkern förmlich hören. Das Lied vom Werwolf geht dagegen in die Vollen: Wolfsgeheul, Türklingeln und Kirchenorgeln mit einem afrikanisch anmutenden Groove zu verbinden, hat bis dato wohl noch keiner probiert. Der Altmeister macht es dennoch – und brilliert auf ganzer Länge. "Stranger to stranger" ist ohne jeden Zweifel eines der stärksten Alben seiner gesamten Diskografie. Das Haupt verbleibt in Ehrfurcht geneigt.
Highlights & Tracklist
Highlights
- The werewolf
- Wristband
- Stranger to stranger
- Proof of love
- The riverbank
Tracklist
- The werewolf
- Wristband
- The clock
- Street angel
- Stranger to stranger
- In a parade
- Proof of love
- In the garden of Edie
- The riverbank
- Cool Papa Bell
- Insomniac's lullaby
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Cosmig Egg
2016-06-16 19:02:46
Nein, nein... ganz falsch. Das war sein Höhepunkt...so...jetzt du wieder
el duce
2016-06-16 18:45:07
ganz falsch!
seine besten sachen machte er alle VOR graceland.
ROTS war schon ein abstieg und danach wiederholte er sich nur noch...
Achim
2016-06-16 18:04:49
Ich erinnere mich, "das" und "und" mehrfach gelesen zu haben.
:-D
Cosmig Egg
2016-06-16 17:33:23
Der arme Paul wird eben immer auf seine beiden Meisterwerke Graceland und Rhythm of the saints reduziert werden. Sicher ist Stranger to stranger ein ganz nettes Album. Hat man jedoch die beiden erstgenannten, braucht man eigentlich keine Paul- Simon Alben mehr
Nörgler
2016-06-16 08:48:14
Ich erinnere mich, "das" und "und" mehrfach gelesen zu haben.
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