Becquerels - In a state of blitz

Becquerels
VÖ: 01.04.2016
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Koffer in Kent

Nicht nur im vollverglasten Plattentests.de-Redaktionsgebäude an der Isar weiß man: München ist eine Reise wert. Einen Nachteil hat es jedoch, wenn man permanent in den Genuss der bayrischen Landeshauptstadt kommt: Als Ausflugsziel fällt sie flach. Auch für Becquerels, die 2011 aus den Münchener Brit-Rockern Lagoon hervorgingen, nachdem Frontmann Mel Stepper dazugestoßen und ein neuer, radioaktiver Name gefunden war. Für die Aufnahmen zum ersten Longplayer ging es für das Quintett darum auf große Fahrt in die englische Grafschaft Kent – im Gepäck frische Songs und die besten Wünsche von zahlreichen Supportern einer Kickstarter-Kampagne, im Kopf alles, was in der britischen Gitarrenmusik seit den sechziger Jahren gut und teuer war und bis heute ist. Hat da gerade jemand "Cool Bavaria" gesagt? Wenn ja: Recht so.

"In a state of blitz" nahm zwar mit drei Jahren weitaus längere Entstehungszeit in Anspruch, als der Titel nahelegt – dafür verschweißen Becquerels die mannigfaltigen Verweise, die einem hier ins Gesicht springen, so gediegen und souverän, dass dieses Album nie zu einer bloßen Nummernrevue mit allzu offensichtlich abgehandelten Programmpunkten gerät. Passieren können bei den fünfen nämlich grundsätzlich die verschiedensten Dinge: Rollender Rave-Rock steigt Merseybeat-Reminiszenzen auf die Figur, aufgeregte Northern-Soul-Streicher legen sich mit vorlautem Lad-Gepolter an, hyperaktive Trompeten treiben staubigen Wüsten-Rock nach Art von Arctic Monkeys' "Humbug" vor sich her. Stepper steht derweil als stilsicherer Crooner im Mittelpunkt und schwingt den imaginären Kula-Shaker. Und der Hörer wackelt mit.

"Dr. Million" stellt sich zu Beginn mit glimmender Hammond-Orgel und Bläser-Batterie direkt als angedreckter Schwippschwager von Primal Screams "Loaded" vor, kommt aber immerhin ohne Pillen aus. Doch nicht immer liegen die Dinge so offensichtlich: "Get off of your cloud" ist keine rotzige Rolling-Stones-Blaupause, sondern vielmehr eine weit ausholende Ballade voll gesanglicher und melodischer Eleganz, der mit "Judy's suitcase" lieblicher Bubblegum-Pop samt Ba-ba-ba-Chören und sehnsuchtsvollem Refrain folgt – genauso cheesy wie unwiderstehlich. Um drohender Überzuckerung entgegenzuwirken, fordert "Miracle men" danach zum lautstarken Duell zwischen bassigem Dance-Rock und Oasis-Breitmäuligkeit heraus, und am Ende einigen sich beide auf Unentschieden – zugunsten eines der vielen blendenden Songs auf "In a state of blitz".

Doch auch wenn die Beatles-Harmonien von "Breaking a boy's neck" oder "Consuelo" mit vom Stretch-Klassiker "Why did you do it" geklautem Gitarrenlick recht liebeskrank in der Ecke hängen, vermögen Becquerels jederzeit ordentlich Gas zu geben: "The second coming" etwa stampft ganz im Kasabian-Sinne gereizt mit dem "Club foot" auf und lädt sich an großkarierten religiösen Bildern auf, während "L.S.C." eine temporeiche Brücke zwischen Tex-Mex-Gebläse und staubigen Twangs schlägt – bis Stepper und Kollegen im angesäuselten "When I woke up" zu Saloon-Piano und knorriger Tuba in den Absturz-Pub ihrer Wahl torkeln und auf einen gelungenen Aufenthalt zurückblicken. Hoffen wir also, dass neben Judy auch die Münchener noch einen Koffer in Kent haben. Wenn sie ihn irgendwann abholen, können sie ja gleich noch so ein vorzügliches Album aufnehmen.

(Thomas Pilgrim)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Get off of your cloud
  • Judy's suitcase
  • Miracle men
  • The second coming

Tracklist

  1. Dr. Million
  2. Flashlight
  3. Get off of your cloud
  4. Judy's suitcase
  5. Miracle men
  6. Breaking a boy's neck
  7. Consuelo
  8. Victorious
  9. The second coming
  10. L.S.C.
  11. Show me love
  12. When I woke up
Gesamtspielzeit: 52:00 min

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Armin

2016-06-01 19:57:39

Frisch rezensiert.

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