Emily Jane White - They moved in shadow all together
Talitres / Rough TradeVÖ: 29.04.2016
Wenn die Nacht am tiefsten
Anglophile Bücherwürmer haben es vielleicht schon bemerkt: Der Titel von Emily Jane Whites fünftem Album ist ein Zitat aus dem Roman "Draußen im Dunkel" von Cormac McCarthy. Und was kommt als nächstes? Country for old men? Warten die Coen-Brüder gar schon um die Ecke? Mitnichten beziehungsweise nicht nötig: Die Kalifornierin bleibt auf "They moved in shadow all together" auch ohne fremde Hilfe Fachfrau für die dunklen Seiten des amerikanischen Traums und beschwört nicht nur im gleichnamigen Stück "Nightmares on repeat" herauf. Passend dazu bildet White auf dem monochromen Cover lediglich einen Schattenriss – zumindest musikalisch besteht aber wie üblich kein Grund, in Sack und Asche zu gehen. Selbst wenn es angesichts der Mängelliste der Menschheit inhaltlich weiterhin nicht viel zu frohlocken gibt.
Doch wo Schatten fallen, ist auch Licht – so auch in diesen elf Songs, denen stets ein hinreißender Heiß-Kalt-Effekt innewohnt. Etwa dem Opener, in dem White den "Frozen garden" so weit wie möglich anzutauen versucht: Zu spartanischer Gitarrenfigur und schwach leuchtender Orgel pirscht sie sich bang durch einen verwunschenen Ort, wo es beständig rhythmisch rumort und an jeder Ecke beunruhigendes Zischeln lauert. Doch ein Glück: Es war lediglich Percussionist Nick Ott, der auch "Pallid eyes" mit immer wieder aufploppenden kleinen Stakkati behutsam aufraut und damit den Platz freiräumt, den Whites mal sanft im Vordergrund stehende, mal geisterhaft gedoppelt von der Seite einschwebende Stimme benötigt, um der Düsternis gegenübertreten zu können.
Von dieser gibt es nämlich genug auf "They moved in shadow all together" – vergleichsweise aggressiv rumpelnde Rocksongs wie "Red dress" oder "The cliff" haben hier anders als auf den Vorgängern kaum mehr Platz. Stattdessen treten an die Stelle der Sechssaitigen zusehends elegante Piano-Figuren und ein drohendes Cello, während "Rupturing" die allzu kurz währende Jugend betrauert und "The ledge" gleichermaßen am Abgrund und auf "masochism's edge" wandelt. Wunderbar nachdrückliche Klagelieder, die kein Weghören dulden, wenn die Streicher zuweilen wild durcheinanderwirbeln und die Sängerin vermutlich wie immer schwarz gewandet durch ihr kleinlautes Reich versunkener Nächstenliebe und verlorener Paradiese führt. Und sich dabei keineswegs mit ätherischen Moritaten fürs eingestaubte Poesiealbum begnügt.
"The black dove" tadelt vielmehr mit gereizt aufbegehrenden Drums und Sorgenfalten auf der Stirn Rassismus und Polizeigewalt gegen die schwarze Bevölkerung, und "Womankind" spricht eindringliche Worte zu Gewalt gegen Frauen und zur fortwährenden Verletzung persönlicher Grenzen: "A body is not a public space / A corporal autonomous place / Hands that enter your space / They violate all the human race." Wer da noch etwas von Armlänge faselt, ist allenfalls ein Armleuchter – und im sporadisch erhellten, meist aber blickdichten Schattenreich dieses Albums gänzlich fehl am Platze. Allen anderen spendet "They moved in shadow all together" auch in den finstersten Augenblicken Trost – denn auch wenn die Nacht am tiefsten ist, gibt es immer noch Emily Jane White.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Frozen garden
- Pallid eyes
- The black dove
- Womankind
Tracklist
- Frozen garden
- Pallid eyes
- Hands
- Nightmares on repeat
- Rupturing
- Moulding
- The ledge
- The black dove
- Antechamber
- Womankind
- Behind the glass
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Armin
2016-05-24 22:33:01
Frisch rezensiert.
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