The Jayhawks - Paging Mr. Proust
Sham / Al!veVÖ: 29.04.2016
Langsam, Cowboy
Der Punkt, den The Jayhawks mit "Paging Mr. Proust" machen wollen, ist kulturpessimistisch altbacken: Heute schwirrt alles viel zu schnell um jeden herum und Momente verlieren mit dem Aufblitzen der Handykamera ihren Nachklang. Drum heißt es der Band zufolge Contenance zu wahren, zu entschleunigen. Als Mahnherren scharen die Country-Oldies den französischen Zeitrechercheur wie auch David Foster Wallace um sich. Beide stehen für Werke, die als verstaubte, unangetastete Statuen in allerorts Bücherregalen stehen, unleserlich geworden im Hickhack des Jetzt. Auch die naturmalerische Sehnsuchtsdichterei eines Robert Frost und der romantische John Keats werden erwähnt oder direkt angesprochen. Dabei gewinnen Songs nicht zwangsläufig durch literarische Querverweise. Oft hemmt das nur, wirkt überflüssig vertrackt. Gary Louris, der Jayhawks-Frontmann und Songwriter mit der samtensten Stimme des Americana, blättert allerdings völlig unaufgeregt durch seine Satzgeber und liest – wie im proustschen Zitat – in Wirklichkeit sich selbst.
Mehrere hundert Seiten am Stück zu lesen ist für Louris etwas, das heute abhanden gekommen scheint. Dabei möchte das Album genau so gehört werden, aufmerksam und zeitgleich entspannt, unvoreingenommen und geistesoffen. "Quiet corners & empty spaces" beflügelt noch mit schlichter Melodie im 60s-Flair. Der von Damen begleitete Schunkler "Lovers in the sun" und die Ballade "I'll be your key" sind zeitlupenartige Szenen am Flughafen. Dieser ist auf dem Albumcover zu sehen, das TWA Terminal des JFK in New York. Vor einem halben Jahrhundert stand dieses Gebäude, das einer übergroßen Möwe gleicht, Innenräume wölbt und schwingt, für eine spielerische und optimistische Moderne in der Architektur, ein Versprechen. Nun ist es lahmgelegt, denkmalgeschützt, der JFK wieder zweckdienlich hässlich. Und The Jayhawks erklären das Projekt als gescheitert, frei nach "Früher war das Meiste besser". Ähnlich antiquiert sind auch die Synthesizer im rumorenden "Comeback kids", wo es heißt, man dürfe niemals vergessen, woher man komme.
Und The Jayhawks kommen aus den Achtzigern, halten sich aber für noch älter und klingen entsprechend. Ob mit ihren lieblichen Harmonien in "Lies in black & white", einem Gruß an die Beatles, dem wüstem Neil-Young-Dadrock "Lost the summer" oder dem psychedelischen "Ace": Das Album ist eine vertonte Vergangenheitsform als melancholische Hommage, auch an die Urheber selbst. Peter Buck (R.E.M.) und Tucker Martine (Sufjan Stevens, The Decemberists) produzierten mit nach unten geschobenen Reglern. Die hohen Töne wurden gedämpft, die tiefen gemütlich gemacht. "Paging Mr. Proust" ist angenehm, störungsfrei, unauffällig. Es flüstert, überredet wie die weisen "Sleeping tapes" von Jeff Bridges als langsames Album zum Einschlafen und wieder Aufwachen.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Quiet corners & empty spaces
- Pretty roses in your hair
- I'll be your key
Tracklist
- Quiet corners & empty spaces
- Lost the summer
- Lovers of the sun
- Pretty roses in your hair
- Leaving the monsters behind
- Isabel's daughter
- Ace
- The devil is in her eyes
- Comeback kids
- The dust of long-dead stars
- Lies in black & white
- I'll be your key
Im Forum kommentieren
rajko bärs
2016-05-11 22:55:36
mag das album.leider nicht durchgehend hochkaräter,aber immer noch ihre eigene Liga. mockingbird... wird nicht erreicht , da ohne den alten Kauz mark olson.
Armin
2016-05-11 22:18:54
Frisch rezensiert.
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