Benjamin Biolay - Palermo Hollywood

Riviera / Barclay / Universal
VÖ: 22.04.2016
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Camembert! Gauloises! Merlot! in Argentinien

Frankreich bebt, und das nicht erst seit gestern. Schwarzmalerische Romane von Houellebecq oder Sansal stacheln gesellschaftlichen Diskurs an, mal sarkastisch, mal angsteinflößend. Und selbst eine Camus-Fortschreibung des Meursault ist nicht davor gefeit, als Text über den Islam und Islamophobie gelesen zu werden. So politisch geradezu alle französische Literatur gerät, so apolitisch gibt sich die Chanson-Szene. Françoiz Breut fantasierte sich in eine andere Welt, und selbst der sonst so kritische Renaud verlor sich zuletzt in die Introspektion. Hinfort vom Trubel. Und wie würde Benjamin Biolay reagieren, der gerne seinen Vornamen so weich und tief nuschelt?

Erst beschimpfte er die Eagles Of Death Metal als "groupe de merde", dann ging er auf den französischen Präsidenten los und verzog sich nach "Palermo Hollywood", dem Künstlerviertel in Buenos Aires. Fort in den Urlaub, die französische Lebensart mitgeschleppt. Seine Chansons würzt er neuerdings mit kolumbianischen Rhythmen. Sofern ein politisches Manifest herausgehört werden möchte, dann besingt Biolay anstelle der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit den Camembert, die Gauloises und den Merlot. Werte und Prinzipien ersetzt er durch Handfestes. Die Schwermut begleitet ihn weiter und wird ihn nie verlassen. Seine Romantik bleibt tagträumerisch und verdammt. Sie lässt früher oder später alles gegen die Wand fahren. Und trifft er seine Kassandra, himmelt er doch wieder eine tragische Prostituierte an, deren Wohlwollen ihn staunen lässt und deren Geschäftigkeit ihn später wieder enttäuscht. Bedeutungsschwer wollte Biolay eben nie sein.

Und Bedeutungsmühsal pustet der Titelsong bereits fort. Biolays dauertrunkener Bariton flattert über geschmeidige Arrangements. Mosaikstücke bestehen aus Violinstrichen, Sirenengejammer und Gitarrenpickings. Das Komplizierte vereint im Brummen. Dann führt noch ein elektronisches Tango-Duett mit Sofia Wilhelmi durch dieses "Palermo soho", wie auch Elektrobeats "Ressources humaines" und "La noches" prägen. Biolay modernisiert sich selbst und musste fort, um mit "Pas d'ici" dann doch wieder auf den launischen Gitarrenpfaden der heimischen Phoenix zu trotten. "Yokohonomatopea" und "C628" verehren zeitgleich Morricone und die klassische Oper. Ein wenig Balsam für die geschundene, europäische Seele, die rechtsprotzige Parolen attackieren, bietet dann noch die "Ballade française", die ebenso jeden Bond-Vorspann zieren könnte. Biolay träumt sich ins nächtliche Paris, in der die Liebenden unbeeindruckt vom tröpfelnden Regen tanzen.

Liegen die Nerven schon so offensichtlich blank wie derzeit in Frankreich, wäre es keine Kunstfertigkeit, sie zu treffen. Contenance strengt hier wohl mehr an. Und ob das nun subtil politisch ist oder nicht, bleibt auch ein wenig egal. Denn es bleibt elegant und stilsicher. Biolay ist der denkbar vortrefflichste Botschafter, den sich dieses Land wünschen kann. Und "Palermo Hollywood" verwandelt sich zum französischsten Ort außerhalb Frankreichs.

(Maximilian Ginter)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Palermo Hollywood
  • Ressources humaines
  • Ballade française

Tracklist

  1. Palermo Hollywood
  2. Miss miss
  3. Borges futbol club
  4. Palermo queens
  5. La débandade
  6. Ressources humaines
  7. Tendresse année zéro
  8. Palermo spleen
  9. La noche ya no existe
  10. Palermo soho
  11. Pas sommeil
  12. Pas d'ici
  13. Yokoonomatopea
  14. Ballade française
Gesamtspielzeit: 51:03 min

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Armin

2016-05-03 18:26:13

Frisch rezensiert.

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