Travis - Everything at once
Caroline / UniversalVÖ: 29.04.2016
Ich hab' Würmer
Hach Travis, Ihr habt Euren Hörern schon so viele schöne Stunden beschert. Ihr schuft Ohr- wie Augenwürmer gleichermaßen. Dieser über die Tafel schleudernde Tintenfisch – in den Herzen Eurer Fans fliegt er noch heute, 15 Jahre nach "Sing". Nun haben die Glasgower wieder einmal ein solches, furchtbar fieses Kriechtier geschaffen, das sich von der Pupille bis in den hinteren Hirnkortex gräbt, um dort auf ewig zu nisten. Im Clip zu "3 miles high" lassen sich Fran Healy und Co. von fülligen Muskelmännern durch Berlin tragen. Das sieht nicht nur freaky aus, sondern hat wieder diesen besonderen Travis-Charme, dieses bübisch-neckische, verschmitzt Schwiegersohn-hafte, das dabei jede negative Konnotation außen vor lässt. Man muss diese Typen einfach mögen.
Nur, während das Video unglaublichen Spaß macht, bleibt der Song hinter dem Bewegtbild zurück. Und leider, ja, wirklich leider, mangelt es dem ganzen neuen Album der schottischen Truppe an Ohrwürmern. "Everything at once" klingt teilweise so wenig nach Travis, dass man sich fragen muss, ob da die richtige Scheibe im Player dreht. Nun, schon der Vorgänger, "Where you stand", hob sich stark vom bisherigen Schaffen der Gruppe ab und klang – um das böse Wort einfach mal zu nennen – mehr nach Coldplay als je zuvor – dafür aber auch mehr als Coldplay selbst mittlerweile, und wurde so zum gelungenen Ding. Zugegeben, bis "Ode to J. Smith" gab es wenig Varianz im Travis-Universum, andererseits aber war das auch gut so, denn die wenigsten Bands schaffen es doch einen wirklich eigenen, unverwechselbaren Stil zu entwickeln.
Woran krankt "Everything at once" also nun? An zu viel Zuckerguss! "Magnificent time" verspielt mit Tambourin und Handclaps sein Potenzial. "Radio song" verwirrt mit überdicken Gitarren und "Oooh-ooooh"-Chören im Refrain, macht seinem Namen dabei alle Ehre, nicht aber im positiven Sinne. "All of the places" setzt Synthies ein, die hier so gar nichts zu suchen haben und schlägt in die gleiche Kerbe. So auch "Strangers on a train". Die musikalische Kulisse von "Paralysed" klingt stark nach "Herr der Ringe"-Soundtrack, die Geigen wirken überzogen, die Dschungel-Trommeln sind zu viel des Guten. Der Titelsong sei nur der Form halber erwähnt: "Everything at once" weiß mit seinem seltsamen Lollipop-Sound genauso wenig zu überzeugen wie zuvor beschriebene Tracks – trotz weiterem netten Videoclip mit Daniel Brühl.
So ein Mords-Brimborium ist man von Travis überhaupt nicht gewöhnt. Und gut steht es den Briten leider so gar nicht. Offenbar wird der Ohrwurm hier so krampfhaft gesucht, dass es kaum eine Chance gibt, ihn zu finden. Mit dem erwähnten "3 miles high" und "Animals" gibt es zumindest zwei Lichtblicke: Ersteres entfaltet erst im Zusammenspiel mit dem zugehörigen Clip seine ganze Qualität, aber ist dennoch der lockerste Track auf "Everything at once". Bei Zweiterem gelingt das Experiment des absichtlichen Aufblasens zumindest einmal: Man möchte sagen trotz großflächiger Violineneinspieler und verzerrter Gitarren – denn mit "Animals" und seinem herrlichen Singalong-Chorus setzt sich tatsächlich doch noch ein Song im Gehörgang fest. Das darf man festhalten und da muss man anknüpfen, wenn es an die Produktion des neunten Studioalbums geht.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Animals
Tracklist
- What will come
- Magnificent time
- Radio song
- Paralysed
- Animals
- Everything at once
- 3 miles high
- All of the places
- Idlewild (feat. Josephine Oniyama)
- Strangers on a train
Im Forum kommentieren
jo
2024-07-24 13:57:14
Muss ich mal wieder hören. Ist für mich aber insgesamt schon die Platte von ihnen, die am ehesten "vergessenswert" ist.
MickHead
2024-07-23 17:59:52
Auch hier neben den Vorabsongs, mit der Zeit vor allem "All Of The Places" und "Strangers On A Train".
The MACHINA of God
2024-07-23 17:33:26
"Animals" hat sich bei mir noch zum Highlight gemausert.
jo
2021-04-29 15:02:39
Ja, sehe ich ganz genauso. Wobei für mich auch "The Invisible Band" sehr nah dran ist (als Album gesehen; bei den Einzelsongs gewinnt "The Man Who") - wie schon öfter mal betont :).
The MACHINA of God
2021-04-29 14:25:57
Ja, ein wirkliches Meisterwerk finde ich bei ihnen zwar auch nicht (wobei "The man who" nah dran ist), aber es kann nicht nur solche Bands geben. Dafür ist kaum eine Band sympathischer in ihrer Zurückhaltung.
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