
PJ Harvey - The hope six demolition project
Island / UniversalVÖ: 15.04.2016
Ms. Harvey geht nach Washington
"Here's the highway to death and destruction / South Capitol is its name / And the school just looks like a shit-hole / Does that look like a nice place?" – es ist wohl nicht verwunderlich, dass diverse Politiker in Washington D.C. so ihre Probleme mit "The community of hope" haben. Die zweite Single von PJ Harveys neuntem Studioalbum "The hope six demolition project" ist das durchaus poppige Ergebnis einer Rundfahrt durch die US-amerikanische Hauptstadt, bei der die 46-Jährige von einem Reporter der Washington Post begleitet wurde, der sein Gegenüber dummerweise nicht erkannte. Mit scharfen Worten geht die Britin mit der Regierung ins Gericht, die das Armutsviertel der Stadt verkommen lässt, und schlägt schnippisch den Bau eines Walmarts zur Verbesserung der Lebensqualität vor. Die bösen Worte der hohen Herren ihr gegenüber dürften Harvey ziemlich egal sein – die hat noch nicht mal angefangen mit ihrem Rundumschlag.
"The hope six demolition project" ist die logische Weiterführung des hochgelobten "Let England shake" von 2011, das der Sängerin nicht nur ihren zweiten Mercury Prize einbrachte, sondern auch einen neuen Weg für sie ebnete. Aufmüpfig und mit ausgefahrenen Krallen kämpfte Harvey für ihre insulanische Heimat und wurde von ähnlich Unzufriedenen mal eben zur Königin ernannt – "Long may she reign", titelte Kollege Hinrichs seinerzeit. Auch ihr neues Werk wütet gegen die Staatsmacht und klatscht der Regierung ihre eigene korrupte Machtgeilheit ins Gesicht, beschränkt sich aber nicht mehr auf das Heimatland von Harvey, sondern schaut über den großen Teich. Der Albumtitel wurde inspiriert vom als "Hope VI" bezeichneten Plan der US-Regierung, bei dem heruntergekommene Häuser in schlechten Gegenden mit hoher Kriminalitätsrate abgerissen werden sollen, um durch schönere Gebäude ersetzt zu werden – mit der Folge, dass sich viele der ehemaligen Bewohner die Existenz dort finanziell nicht mehr erlauben könnten.
Die neugewonnenen Erfahrungen, die sie auf ihren Reisen in Washington, der Republik Kosovo und Afghanistan gesammelt hat, verarbeitete Harvey schließlich bei den Aufnahmen im Somerset House in London, welche als großangelegte Kunstinstallation von Besuchern beobachtet werden durften. Das Album ist dabei zumindest ähnlich hitzig wie sein Vorgänger, aber auch etwas roher, wenn nicht sogar stellenweise polternder. Der Weg in die von ihr gewählten Gebiete war demnach ein durchaus steiniger, der nicht nur wunde Füße hinterlassen haben dürfte: Man spürt Harvey an, welche starken Eindrücke sie gesammelt hat, wenn die beinahe euphorisch anmutende Instrumentierung von "The wheel" mitsamt satter Bläsersektion und Handclaps in direktem Kontrast zum geradezu unbehaglichen lyrischen Inhalt steht: "Hey little children, don't disappear / I heard it was 28.000 / All that's left after a year / A faded face / The trace of an ear." Bilder von Harveys Besuch in Kosovo im Jahr 2011 tauchen auch im dazugehörigen Video auf, das aufgrund seiner ungeschönten, blanken Intensität eigentlich mit einem Warnhinweis versehen werden sollte.
Macht Harvey aber natürlich nicht, sonst würde der schmutzige Finger in der Wunde weniger wehtun. "The hope six demolition project" ist ganz bewusst eine Tour de force und damit das Gegenteil zur politischen Tour de farce. Das wütend aufstampfende "The ministry of defence" wirkt stellenweise taktlos, bleibt aber doch immer dem Rhythmus treu – da gibt es die Atempause zwischendurch sogar als Teil des Songs. "I took the plane to a foreign land / And said I'll write down what I find", droht sie im stetig vor sich hin köchelnden "The orange monkey", das auf den Ausbruch verzichtet, mit seinem gelungenen Choreinsatz aber allemal zu überzeugen weiß. Unbequem drückend kommen die bluesartigen Stücke "Chain of keys" und "River Anacostia" daher, die das Album gerade in der ersten Hälfte deutlich melodramatischer erscheinen lassen als "Let England shake" – gerade "Chain of keys" ginge mit seiner Erzählung über eine kosovarische Frau fast schon als Horrorgeschichte durch. Das Gegenprogramm gibt es mit dem zwischen Punk, Garage-Rock und Jazz umherirrenden "The ministry of social affairs", bis der tieftraurige Abschluss mit "Dollar, dollar" einmal mehr direkt mit der Faust in die Magengrube schlägt. Ist wirklich alle Hoffnung verloren? Nicht mit PJ Harvey. Noch nicht, und – hoffentlich! – niemals.
Highlights & Tracklist
Highlights
- The ministry of defence
- The ministry of social affairs
- The wheel
- Dollar, dollar
Tracklist
- The community of hope
- The ministry of defence
- A line in the sand
- Chain of keys
- River Anacostia
- Near the memorials to Vietnam and Lincoln
- The orange monkey
- Medicinals
- The ministry of social affairs
- The wheel
- Dollar, dollar
Im Forum kommentieren
fakeboy
2023-10-16 07:38:52
Keine Ahnung wie man dieses Album schwach finden kann. Für mich zwischen 8 und 9. Hätte gestern gerne wenigstens Community of Hope oder Ministry of Defense gehört.
MopedTobias (Marvin)
2022-08-02 22:03:09
Ja, danke euch beiden! Hat großen Spaß gemacht, sich gemeinsam durch die Diskographie dieser tollen Künstlerin zu hören.
myx
2022-08-02 22:00:45
Hat auch einfach gepasst, dass wir PJ dann doch zu dritt abschliessen konnten. :) Auch heute wieder ein herzliches Dankeschön in die Runde.
Ob es dann bald mal ein neues Album von ihr geben wird? Wäre ja eigentlich an der Zeit.
myx
2022-08-02 21:54:28
Klar ihr schwächstes muss ich noch etwas relativieren. Reicht noch immer für eine 6,5/10. Als nächstes kommt dann bei mir "Rid of me" mit 7,5/10.
dieDorit
2022-08-02 21:53:30
So damit hätten wir die PJ jetzt auch geschafft. Danke, dass ihr auf mich gewartet habt, auch wenn das eigentlich so nicht geplant war :)
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