The 1975 - I like it when you sleep, for you are so beautiful yet so unaware of it
UniversalVÖ: 26.02.2016
Im Elfenbeinturm
"Das Indierock-Ding ist lange tot!", tönt Matthew Healy, seines Zeichens Frontmännchen und Chick Magnet der britischen Erfolgs-Formation The 1975. Abgesehen davon, dass da sicher was dran ist: Seit dem UK-Nummer-Eins-Erfolg des The-1975-Debüts und 195 umjubelten Konzerten in 29 Ländern sind leise Töne die seinigen nicht mehr. Drogen, Suff und Frauen, der klassische Rock'n'Roll-Lifestyle also, schon eher. Schließlich könne man als Band heute auch Lederjacke tragen, ohne Rockmusik zu spielen, eröffnete Healy jüngst dem NME im großen Titel-Interview. Der Anspruch von The 1975 sei vielmehr, "die wichtigste Band der Generation zu sein". So klingt Rebellentum anno 2016. Um am klanglichen Puls der Zeit zu sein, braucht es als Musiker heute anscheinend vor allem eines: den Proberaum mit üppiger Synthie-Gerätschaft vollpacken, und sich dann flugs mit dem DeLorean zurück in das Ambiente von 1985 beamen. Metronomy zelebrieren selbigen Flashback schon länger, Tame Impala kamen mit ihrer tollen letzten Platte "Currents" dann auch stellenweise an.
War der erste The-1975-Wurf noch eine wilde Mixtur aus Indiepop-Hits, Synthpop-Stücken, Neo-R'n'B und HipHop-Beats, konzentriert sich der Vierer aus Manchester nunmehr fast ausschließlich auf den Sound der Achtziger. Und packt vor allem eines hinzu: Größenwahn. Nicht nur der Albumtitel erschlägt, auch die Spielzeit hat es in sich: Geschlagene 75 Minuten rotiert "I like it when you sleep, for you are so beautiful yet so unaware of it", während derer sich der Hörer ab und an vergewissern muss, ob er nicht doch schon an der seltsamen Interlude-Stelle zwischen letztem Song und Bonustrack angekommen ist. Doch "If I believe you" ist mitnichten ein solcher, verwirrt in seiner Kollaboration aus spirituell angehauchtem Gospelchor, Jazz-Trompeten und D'Angelo-Neo-R'n'B über ganze 6:30 Minuten irgendwo dennoch.
Häufig aber ist The 1975 ihre songschreiberische Brillanz nicht abzuerkennen: Der Beat im kurzweiligen "Ugh!" blinzelt unermüdlich in Richtung Hochglanz-Pop und steckt doch knietief im R'n'B. Unter der bunt glitzernden Diskokugel bewegt sich die cheesy Popnummer "She's American" offensiv im Scheinwerferlicht, während sich das fast akustische "Nana" mit einer Pulle Melancholie an die Bar zurückzieht. Die knackige Auskopplung "Love me" tobt sich irgendwo zwischen Peter Gabriel und INXS aus. Thematisch prangert Healy hier die Fassadenhaftigkeit der Generation Social Media an, nimmt seine Rolle als angehimmelter Bühnenstar aber süffisant und selbstbewusst an – was sich in etlichen Stücken der Platte niederschlägt. Flammender Synthpop wie die Single "The sound", bei der die Rafinesse des Debüts durchblinzelt, oder Atmosphärisches wie "A change of heart" zeigen indes auch, dass weniger oft mehr gewesen wäre. Mit Betonung auf "wäre", leider.
Denn Healys inhaltliche und haptische Affinität zum nackten Wahnsinn macht das über fünf Minuten dahinklimpernde Interlude "Please be naked" trotz seines anzüglichen Titels nicht aufregender. Zählt man das erst spät erwachende "Lostmyhead" und das Titelstück, über weite Strecken ein The-Postal-Service-artiges Instrumental, statt zum atmosphärischen Plus zu den unnötigen Bremsklötzen dieser Platte, verschenken The 1975 mal eben fast 20 (!) Minuten Kunst – die mehr kaschierte Langeweile ist. "I like it when you sleep, for you are so beautiful yet so unaware of it" wirkt deshalb zerfahren, egozentrisch und abgehoben. Rebellentum 2016 eben. The 1975 haben sich bereits zu einem frühen Karrierezeitpunkt in den schillernden Elfenbeinturm des Popzirkus zurückgezogen. Bodenkontakt? Derzeit nicht in Sicht.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Love me
- Ugh!
- The sound
- Nana
Tracklist
- The 1975
- Love me
- Ugh!
- A change of heart
- She's American
- If I believe in you
- Please be naked
- Lostmyhead
- The ballad of me and my brain
- Somebody else
- Loving someone
- I like it when you sleep, for you are so beautiful yet so unaware of it
- The sound
- This must be my dream
- Paris
- Nana
- She lays down
Im Forum kommentieren
MulePope
2018-02-01 02:25:08
wohoho, wo beginnen. ok, es stimmt: wenn matthew die bühne (live) betritt, dann kreischen se.. alle! das also scheint verboten bzw. ein vorbote schlechter mukke zu sein. okee, verstanden. oh mist, er sieht lecker aus und lutscht das auch noch aus. was für ein sukkubus, dieser lümmel. hab die cd rauf und runter gehört ebenso wie das debut, ohne bild oder video. hab die cd sogar zur besten 2016 gewählt. ohne matthew-video, das kam erst später. es gibt augenscheinlich in der community hier ein problem mit bands, die in gb erfolg haben, aber auf gewisse art anrüchig erscheinen. ich sach mir: cd is gut, wenn cd gut. und es gibt auf dieser cd höhepunkte, da würden sich 90 prozent der 8/10+er die zehennägel ausreissen, in puncto originalität, songwriting, mut, können. zuviel u2/muse beim live-auftritt? was hat das mit der cd zu tun?
Aber
2017-03-16 13:38:32
Stinkt gegenüber dem Vorgänger leider mächtig ab. Keine Ahnung, warum die gerade damit jetzt so erfolgreich sind. Aber der "Britpop Award" ist mittlerweile eben auch nicht mehr mehr wert als der Echo...
musie
2016-09-20 16:29:54
Sehr gutes Album. A Change of Heart und Somebody Else sind meine Highlights. Eine wilde Soundmischung, höre aber immer wieder INXS raus. Die in der Rezi geäusserte Kritik nach 'verschenkten' 20Min kann ich bei derart vielen Liedern nicht nachvollziehen, die atmosphärischen Einschübe sorgen dafür, dass das Album nicht zu nervös wird.
Armin
2016-02-26 21:55:32
Frisch rezensiert.
Meinungen?
Armin
2016-01-20 19:13:21
Neues Album am 26.2.
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