Ed Tullett - Fiancé

Monotreme / Cargo
VÖ: 19.02.2016
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 5/10
5/10

Vor der Hochzeit

"Everyone I know is getting married or pregnant, I'm just getting drunk" – manche Facebook-Präsenzen können einen ganz schön fertigmachen. Bei Ed Tullett liegen die Dinge zum Glück anders: Im Vorfeld seines zweiten Albums häuften sich im Bekanntenkreis des 22-Jährigen gemäß Titel lediglich die Verlobungen, und da der Brightoner eigenen Angaben zufolge glücklich liiert ist, kommen ihm fatalistische Sätze wie der oben vermutlich selten in den Sinn. Tullett macht sich lieber musikalische Gedanken: Der unruhig schwirrende Singer-Songwriter-Track "Faux", den er Mitte 2014 mit dem Kollegen Novo Amor aufnahm, wurde zum Spotify-Hit mit über einer Million Plays, und auf "Fiancé" befreit er nun das ohnehin widersprüchliche Genre Laptop-Folk vom Ruch elektronischer Laubsäge-Bastelei in miefigen Holzhütten.

Doch auch Tiefgaragen und Büros bei Nacht haben ihre Tücken. Schnell kann da ein grimmiger Schattenmann auftauchen, dessen Opfer bald verzweifelt über den Boden krauchen und aus Ohren, Mund und Nase bluten. So wie im düsteren Video zur Single "Malignant", die Tulletts mehrheitlich Lagerfeuer-orientiertes 2012er Debüt "Never joy" mit mahlender Wucht förmlich überrollt. Aufgeregt pulsiert ein Synthie, Falsettgesang schwebt ätherisch über abgrundtiefen Midtempo-Beats, eine Kirchenorgel lässt kurz Hoffnung aufflackern, bis zürnende Flächen das Stück endgültig mit sich reißen. Laptop? Eher Maschinenpark. Folk? Kann schon lange nicht mehr folgen. James Blake beim Gewaltmarsch durchs emotionale Walzwerk? Schon zutreffender. Aber vor allem ein majestätisches Ungetüm von einem Song – waidwund und steinhart zugleich.

Es bleibt der dickste Brocken auf einem Album, das dennoch immer wieder hinterhältig Löcher gräbt und sie dann mit den Blumen aus dem Artwork zudeckt – nicht umsonst verspricht der Opener "Irredeemer" kurz zuvor das Gegenteil von Erlösung. Wenn auch zu anfänglich körperlosen Andeutungen von Neo-R'n'B, die später aber in einen unsanften akustischen Stampfer münden. Tulletts zart geloopte Stimme geistert dabei durch den Raum wie ein Glühwürmchen mit dissoziativer Identitätsstörung – oder wahlweise wie ein leicht beduselter Thom Yorke mit der zerbrechlichen Pop-Note von Bon Iver im Hinterkopf, dessen ins Powerbook gesperrte Musik über Nacht ein wachtraumartiges Eigenleben entwickelt. Insofern folgerichtig, als dass Tullett sowohl Radiohead als auch Justin Vernon verehrt und für Letzteren sogar schon einen Remix anfertigte. Guter Mann.

Und schweigt die Elektronik einmal weitgehend, zupft sich das hypnotische "Kadabre" ein so spärliches Lick zurecht, dass auch Sufjan Stevens' "Carrie & Lowell" plötzlich als Stadionrock durchgeht – zumindest in der Regionalliga Nordost. Eine knappe Minute Folkrock-Eruption muss gegen Ende des Stücks reichen, bevor alles wieder an seinen Platz fällt, das ständig an- und abschwellende "Ply" in einer Drone-Kaskade versinkt und "Are you real" zu einem krautig schiebenden Basslauf dem verdichteten Miniatur-Dreampop von The xx nachstellt. Fast wie ein Traum ist auch dieses Album – gerade weil es dem Hörer zwischen dunklen Vorahnungen und trostreichen Harmonien ein ums andere Mal entschlüpft und ihm letztendlich die Wahl lässt, sich entweder zu betrinken oder doch zu heiraten. Wie wär's mit beidem?

(Thomas Pilgrim)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Malignant
  • Kadabre
  • Ply

Tracklist

  1. Irredeemer
  2. Malignant
  3. Posturer
  4. Canyine
  5. Saint
  6. Kadabre
  7. Ply
  8. Are you real
  9. Ivory
Gesamtspielzeit: 43:38 min

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Armin

2016-02-18 22:56:07

Frisch rezensiert!

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