Ty Segall - Emotional mugger

Drag City / Rough Trade
VÖ: 22.01.2016
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Gibt's da was von Ratiopharm?

Fast möchte man sich mal mit ihm hinsetzen. In eine ruhige Ecke in einem netten Café, ab vom Schuss, mit einem Pfefferminztee und einem Stück Kuchen. Ihm die Hand halten. Ihn fragen, ob alles in Ordnung ist. Ob er sich nicht zu viel zumutet. Die Antwort kennt man dabei eigentlich eh schon: Ty Segall braucht das alles. Dieses Feuer, dieses Adrenalin, den Strom, das Donnerwetter, die Hektik, das Chaos. Seit 2008 hat der Kalifornier satte acht Soloalben eingespielt, von seinen Dutzenden EPs und Kollaborationswerken mal ganz zu schweigen. Alleine in den letzten 12 Monaten hat er mal eben gleich zwei neue Bands – Broken Bat und Gøggs – gegründet, den Zweitling seines Nebenprojekts Fuzz veröffentlicht und sich irgendwann in der Zwischenzeit um sein neuntes Album namens "Emotional mugger" gekümmert. Segall ist irre. Muss er sein.

Denn "Emotional mugger" haut der 28-Jährige auch nicht einfach so raus. Geht ja auch raffinierter. Oder komplizierter. Im November 2015 schickte Segall also VHS-Kassetten an verschiedene Musikredaktionen, auf denen allerlei Obskuritäten zu finden waren – neben dem eigentlichen Album. Dazu gab es noch eine semi-wissenschaftliche Erklärung darüber, was es mit dem Begriff "Emotional mugger" eigentlich auf sich hat, inklusive eines skurrilen Videos, in dem der Gute als Dr. Segall, Gründer des "Emotional Mugger Institute", in Erscheinung tritt. Sagten wir bereits, dass er irre ist? Wie dem auch sei – im Grunde ist es vollkommen egal, was genau der Titel bedeutet. Es ist nicht mal unwahrscheinlich, dass Segall sich hier auch nur mal als (Mega-)Troll ausprobieren möchte, er hat ja sonst scheinbar nicht genug zu tun. Auf dem Album selbst, das stellt der Opener "Squealer" nach einer guten halben Minute klar, begibt er sich mal wieder auf Psycho-Tour. Schrille Töne, schrammelige Gitarren, näselnder Gesang, bunte Farben – das volle Programm.

Was man "Emotional mugger" leider vorwerfen muss, ist der Umstand, dass die damit verbundene Promo-Aktion fast ein bisschen spannender ist als das Werk selbst. Segall ist mitnichten schwach: Wie schon der Vorgänger "Manipulator" zeugt auch der achte Solo-Output vom ungeheuren Charisma seines Schöpfers. Songs wie das polternde und stolpernde "Candy Sam" oder das druckvolle "Diversion" spielen sich über den Gehörgang direkt in den Kopf und bleiben dort für eine ganze Weile stecken. Die Achterbahnfahrt mit dem stetig zwischen Hektik und Trägheit wandelnden "California hills" ist kugelrund, das Horrorszenario im Abschlusstrack "The magazine" – eigentlich will man Endzeit-Finale sagen – fast so gespenstisch wie das gar nicht drollige Puppencover.

Dennoch verzettelt Segall sich hier bisweilen: Der Trip, auf den der seine Hörer hier schickt, ist stellenweise fast schon etwas zu verrückt. So kommt ein Stück wie das vollkommen verstrahlte "Baby big man (I want a mommy)" nicht über seinen Demo-Charakter hinaus, der bei der fünften Wiederholung eines künstlichen Baby-"Ah"'s mit langen Fingernägeln an den Nerven kratzt. Das dummerweise auch noch auf der Zielgeraden platzierte "W.U.O.T.W.S." ist im Grunde nur eine Ansammlung verschiedener Sounds und Stücke, die sich in ihrer Unhörbarkeit zu übertreffen scheinen wollen. "Squealer two" wartet mit einer zumindest interessanten, weil funklastigen Melodie auf, hält das Niveau aber nicht bis zu Schluss durch und verpufft in der letzten Minute in einer lila Rauchwolke Richtung Bedeutungslosigkeit. Man weiß nicht genau, auf welche Medikation Segall in seiner neuen Funktion als Doktor hier gesetzt hat – eine Absetzung der Pillen wäre aber durchaus ratsam.

(Jennifer Depner)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • California hills
  • Diversion
  • Candy Sam

Tracklist

  1. Squealer
  2. California hills
  3. Emotional mugger / Leopard priestess
  4. Breakfast eggs
  5. Diversion
  6. Baby big man (I want a mommy)
  7. Mandy Cream
  8. Candy Sam
  9. Squealer two
  10. W.U.O.T.W.S.
  11. The magazine
Gesamtspielzeit: 38:10 min

Im Forum kommentieren

Underground

2016-02-05 10:07:02

Die Besetzung von Diversion ist auch so auf dem Papier der Hammer.

Der Untergeher

2016-02-04 17:40:56

Der KEXP Auftritt hat mich dazu gebracht doch nochmal intensiver ins Album reinzuhören. Ich schließe mich Underground an, der erste Höreindruck war auch bei mir fehlgeleitet. Das ist doch ziemlich stark! Vielleicht sogar besser als der sehr gute Vorgänger. Mal sehen, ich brauche noch ein paar Durchgänge.

bazilicious

2016-01-23 17:13:42

fucking geiles Album mal wieder

Underground

2016-01-20 17:27:55

"Das dummerweise auch noch auf der Zielgeraden platzierte "W.U.O.T.W.S." ist im Grunde nur eine Ansammlung verschiedener Sounds und Stücke, die sich in ihrer Unhörbarkeit zu übertreffen scheinen wollen."

Für mich klingt das eher wie ein reprise der vorherigen Stücke...

Underground

2016-01-20 09:11:53

Absolute Highlights bis jetzt: Squealer, Diversion, Candy Sam & The Magazine.

Was war das bloß ein fehlleitender erster Eindruck meinerseits.

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