Fjørt - Kontakt

Grand Hotel van Cleef / Indigo
VÖ: 22.01.2016
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Schwer erleichternd

Was der Winter im Rheinland nur selten hinbekommt, schafften Fjørt aus Aachen mit ihrem Debüt "D'accord" in beeindruckender Weise: dem Hörer über gut 36 Minuten einen Eisregenschauer nach dem anderen über den Rücken zu jagen. Postpunk aus deutschen Landen gewann schon vor knapp zwei Jahren keinen Innovationspreis mehr, trotz der Fülle an guten Bands – derart konsequenter Post-Hardcore wie der von Fjørt jedoch schon: Majestätisch tiefe Gitarren, wuchtige Drums, mitreißende Breaks und fein-melodische, atmosphärische Instrumentalparts ließen jedweden hübschen Schein zunächst abblitzen, bevor die innere Schönheit dieses Album zum einem treuen Begleiter des Jahres 2014 machte.

Mit "Kontakt" legt die Band aus der Kaiserstadt tief im Westen nun einen Nachfolger vor, der diese Messlatte zunächst einmal wie ein Brett vorm Kopf vor sich haben müsste. Müsste, wohlbemerkt. Denn schon der Auftakt "In Balance" macht klar, dass das Trio auf zartbesaitete Ohren wenig Rücksicht nehmen mag – und das sehr wohl bewusst: Wummernde, sich ins Mark fräsende Gitarren, gleichsam pointiertes wie wuchtiges Bassdrum-Geballer und Sänger Chris Hells Stimme, die zwischen Keifen und Sprechgesang hin und wieder so etwas wie eine Gesangsmelodie herauspresst. Und kurz darauf kommt "Kontakt", Fjørts dritte Platte, so richtig in Fahrt: "Anthrazit", der wohl beste Song des Albums, prügelt los, als gelte es, die nie erlangte Freiheit mit geballten Fäusten zu verteidigen. Hält dann aber doch inne, um in einen fast verzweifelt-nachdenlichen Rotschimmer einzutauchen – einen melancholischen Part mit einer flirrenden Gitarre, die Gänsehaut bereitet.

Von ihrer Art, Songs zu schreiben und diese in der speziellen, eigenständigen Atmospähre aufgehen zu lassen, wie wenige Bands dies schaffen, rücken Fjørt auch beim Grand Hotel van Cleef nicht ab. Das ist beileibe nicht das Schlechteste. Letzteres gibt es in der Welt derzeit sowieso fast täglich, weswegen zwei der zehn neuen Stücke auf "Kontakt" thematisch weitsichtig und damit zugleich konkret wie nie sind. Der Gesang ist noch etwas klarer vernehmbar als auf "D'accord". Was gerade dann Sinn ergibt, wenn Hell in "Paroli" vor Wut keift, seinen Zorn auf engstirnige Neurechte und Besorgtbürger richtet und an alle anderen mahnend appelliert: "Bleibt stehen! / Trotzt der braunen Pest! / Es gibt einen Weg zu gehen / Und der führt niemals dran vorbei! / Wir sind uns einig / Dass ich keinen Meter weichen werde."

Ähnlich klare Kante birgt das schleppend pumpende "Abgesang", das die Anschläge auf die Charlie-Hebdo-Redaktion und das Wesen der Gotteskriegerei allgemein in drei Worten auf den Punkt bringt: "Glaube frisst Mensch." Hinter dem Albumtitel "Kontakt" steht jedoch nicht nur der offene Appell zur aktiven Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen und politischen Problemen unserer Zeit, Fjørt geht es auch um den Umgang mit den Mitmenschen – im Privaten, im Intimen. Das äußerst eingängige "Lichterloh" gibt den oft überzogenen gegenseitigen Erwartungen sich nah stehender Personen ein Forum, während "Lebewohl" seine gesamte Wucht für den finalen Trennungsschrei aufspart. Irgendwann gibt es eben kein Zurück mehr. Für Fjørt und ihre tonnenschwere, herzerleichternde Musik gilt das zum Glück nicht.

(Eric Meyer)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Anthrazit
  • Lichterloh
  • Paroli
  • Lebewohl

Tracklist

  1. In Balance
  2. Anthrazit
  3. Prestige
  4. Kontakt
  5. Lichterloh
  6. Paroli
  7. Abgesang
  8. Revue
  9. Belvedere
  10. Mantra
  11. Lebewohl
Gesamtspielzeit: 43:07 min

Im Forum kommentieren

ZoranTosic

2022-08-24 15:19:24

Beim Umzug nach Jahren mal wieder in die Hände gefallen und aufgelegt. 7/10 kann ich vielleicht noch geben. Aber das Albumcover kriegt mich immer noch total.

Robert G. Blume

2017-09-19 11:55:11

Die Hotel-Session ist super!

Alleswisser

2017-09-18 15:14:47

Neues Album Couleur erscheint voraussichtlich am 17.11.2017

Vennart

2016-04-15 20:05:24

Ihr bestes Album bisher und wohl auch am Ende des Jahres ganz weit vorne dabei.
Die Aggression und Energie sind gegblieben aber sie haben in puncto Atmosphäre und Catchiness nochmals eine gehörige Portion draufgelegt. Großartig!

wurner68

2016-03-05 22:30:00

Endlich mal eine band, welche die politische Situation aufgreift und das Recht auf Widerstand aufgreift. Und geile Mucke machen die Jungs eh.

Lyrics to Paroli
Haltet stand!
Die Lunte lodert,
das Pack zieht ein.
Die Augen groß,
die Herzen bitter klein.
Kälte kocht.
Es rottet sich zusammen
und sucht nach Platz.

Es kotzt sie an,
dass da zu viel Farben
sich ihren Weg hier bahnen.
Sie sind doch allem erhaben.

Es kotzt sie an,
dass da so viele kommen.
Stärkt bloß die Grenzen,
und bietet hart Paroli.

Frei zu sein
bedeutet, Freiheit zu schenken.
Die Beine nie zu schwer,
um auch dafür zu kämpfen.

Frei zu sein
bedeutet, Freiheit zu schenken.
Kein Kopf in den Sand.
kein Stolz keinem Land.

Bleibt stehen,
trotzt der braunen Pest
um Kopf und Kragen.
Wer, wenn denn nicht wir?
Es gibt einen Weg zu gehen,
und der heißt: Niemals dran vorbei.
Wir sind uns einig, dass
ich euch hier keinen Meter
weichen werde.

Auf zwei von denen
kommen zehn von uns.
Und bitte.

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