Daughter - Not to disappear
4AD / Beggars / IndigoVÖ: 15.01.2016
Halt Dich an Deinem Leben fest
"Dry your smoke-stung eyes / So you can see the light / Staring at the sky / Watching stars collide" – die letzten Minuten von "If you leave", Daughters Debütalbum aus dem Jahr 2013, hatten es wahrlich in sich und wirkten wie ein aussetzender Herzschlag. Nicht, dass der Rest ein Zuckerschlecken gewesen wäre. Zehn Stücke zwischen Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung und Angst, alles getragen vom wunderbar zarten Gesang Elena Tonras, von der man gleichermaßen in den Arm genommen werden wie man sie selbst trösten will. Besonders der Abschlusstrack "Shallows" war es, der noch mal so richtig die Kehle zuschnürte. Weil er die Emotionen auf eine holprige Achterbahnfahrt schickte. Und weil danach klar war: Das war es jetzt, vorerst.
Kaum war "If you leave" verstummt, wollte man mehr. Mehr von Daughter, mehr von Tonra, mehr vom eigenen Herzen, das sich der Band aus London anvertrauen und längst verstaute Dinge endlich rauslassen konnte. Mehr, das gibt es jetzt. "Not to disappear", das zweite Album der Briten, knüpft am Erstlingswerk an und stellt doch die Weichen ein wenig um. Das impliziert schon der Titel: Begab sich das Debüt bereits vorsorglich auf die Suche und verabredete einen Platz, an dem man sich irgendwann nach dem Verlorensein treffen könnte, kämpft der Nachfolger mit aller Macht, erst gar nicht verloren zu gehen. Einfacher wird dadurch natürlich gar nichts. Am Leben festzuhalten, wenn jegliches Leben in der Dunkelheit zu verschwinden droht, ist eben vor allem eins: ein Kraftakt.
Denn auch auf "Not to disappear" kommt es knüppeldick. Bei Daughter weiß man ohnehin, was man hat: Die versehen die messerscharfe Leadsingle "Doing the right thing" einfach mal mit einem Musikvideo, das sich unter der Regie von Iain Forsyth und Jane Pollard als erster Teil einer Serie mit den Folgen von Demenz beschäftigt – eine Tränengarantie gibt es dementsprechend kostenlos obendrauf. Im schwerfälligen Opener "New ways" singt Tonra vom durch und durch einsamen Gefühl des Entkommens aus einer toxischen Beziehung: "I've been trying to stay out / But there's something in you / I can't be without / I just need it here / I'm trying to get out / Find a subtle way out / Not to cross myself out / Not to disappear."
Kühler und abgeklärter gibt sich "To belong", das sich entgegengesetzt zu seinem Titel tatsächlich von jeglichen Besitzansprüchen löst und in den ersten Sekunden gar ein wenig an The xx erinnert – dann aber mehr und mehr die Verbindung zur "The wild youth"-EP von 2011 aufbaut. Wabernd und mit ruhepulsartigen Rhythmus mausert sich "Alone / With you" zum Album-Highlight und steht im Grunde stellvertretend für den Kerngedanken von "Not to disappear": Das Gefühl des Alleinseins und der Isolation lauert überall, sogar in einer großen Menschenmenge. Es schlummert tief drin in den Menschen und gleicht der Unsichtbarkeit: "Talking to myself is a boring conversation." Eine andere Sichtweise – rasanter, aber auch bitterer – gibt es im unruhigen und wohl nur gespielt gleichgültigen "No care", einen geradezu düsteren und todtraurigen Ausblick auf die rabenschwarze Zukunft im fragilen "Mothers".
"We feel distant embraces / Scratching hands around my waist, yeah / I wash my mouth but I still taste you", singt Tonra schließlich im finsteren Dream-Pop von "Numbers", das auch durch den gelungenen Einsatz von Fuzz-Gitarren und dem starken Schlagzeugspiel von Remi Aguilella eine bemerkenswerte Dynamik entwickelt. Das Video, der zweite Teil der Zusammenarbeit mit Forsyth und Pollack, fängt die launische Stimmung bestens ein und sorgt für die perfekte visuelle Komponente. Mit dem vertonten Selbstzweifel "Made of stone" beenden Daughter erneut ein Album mit einem aussetzenden Herzschlag, wie es einst auf "If you leave" geschah, und erneut denkt man sich: Das war es jetzt. Vorerst.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Numbers
- Doing the right thing
- Alone / With you
- Made of stone
Tracklist
- New ways
- Numbers
- Doing the right thing
- How
- Mothers
- Alone / With you
- No care
- To belong
- Fossa
- Made of stone
Im Forum kommentieren
MopedTobias (Marvin)
2018-11-05 17:21:43
Finde immer noch, dass If you leave zwar besser ist, aber nicht viel. Beides absolut fantastische Alben.
catpain kidd
2018-11-05 15:28:48
Mädchenmusik für Indie-Nerds, die voll open minded sein wollen.
MartinS
2018-11-05 13:20:11
Ich hab kürzlich mal wieder beide Alben gehört und musste doch feststellen, dass dieses hier dem Vergleich mit "If you leave" nicht standhalten kann.
seabird
2016-07-12 23:16:32
mags total, gerade in den Abendstunden bei dem guten Glas Whisky...glücklicherweise beinahe habe ich das Vorgängeralbum etwas verschwitzt, gegebenenfalls würde ich sonst vielleicht das aktuelle Album anders wahrnehmen
MopedTobias (Marvin)
2016-07-12 22:55:15
Für mich immer noch das Album des Jahres. Etwas schwächer als der Vorgänger, aber nicht viel.
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