Steve Hauschildt - Where all is fled

Kranky / Cargo
VÖ: 25.09.2015
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Am Puls der Zeit

Die vielleicht häufigste Klage des Kunstschaffenden wird auch von Steve Hauschildt bemüht: Das Schlimmste an der ästhetischen Auseinandersetzung sei, dass man zu irgendeinem nicht näher bestimmten Zeitpunkt loslassen müsse, um seine Schöpfung vorzustellen. Viel lieber hätte man seine Ideen bis zum Sankt Nimmerleinstag ausformuliert, moduliert und nuanciert. Notgedrungen müsse man sich zufrieden geben mit dem Unperfekten, Unfertigen. Nun hat Hauschildt, ein Drittel der Ambient-Großmeister Emeralds, die Geduld von Label und Anhängerschaft schon ad ultimo ausgereizt; der anberaumte Veröffentlichungstermin: 2014. Außerdem hätte "Where all is fled" ursprünglich das Fassungsvermögen von nur einer LP nicht überschreiten sollen. Wie gelingt nun die Annäherung an die Perfektion? Indem sein Drittwerk nun die doppelte Spielzeit aufweist? Indem nicht nur das vorhandene Material wieder und wieder überarbeitet wurde, sondern sich der Musiker in selbstauferlegter Isolation gleich schwerstmehrfach überarbeitet hat?

Von hoher Qualität ist "Where all is fled" schon allein deshalb, weil sich das fast 70 Minuten dauernde Album so unfassbar mühelos anhört und zu keiner Sekunde andeutet, wie viel Arbeit darin investiert werden musste. Hier scheinen die Ambient-Momente und die Polyphonie der unzähligen, bildgewaltigen Piano-Patterns erst aus sich selbst heraus, dann plötzlich blitzen sie wie Sonnenstrahlen in das leicht technoide Treiben, ohne dass das Aufeinandertreffen von treibenden Beats und schwebenden Flächen in "Aequus" und "Caduceus" wie ein Gegensatzpaar wirkt. Das unvermittelte, rhythmische Erzittern verstummt genauso schnell, wie es sich makellos und glatt in den Albumfluss hineingestohlen hat. Der kurzzeitige, pulsierende Tumult kann dem Schlussstück "Centrifuge" jedenfalls nichts anhaben.

Hauschildt muss den Anspruch gehabt haben, scheinbar ohne zähe Methodik oder ins Auge stechende Konzeption einen organischen Zusammenhalt zwischen den Tracks zu kreieren. Gleichzeitig gefriert die Homogenität nicht zur Eintönigkeit. Denn jedes Stück besteht für sich allein genommen, behauptet sich ohne Konkurrenzgedanken gegen den vorhergegangenen Song. "Where all is fled" legt spätestens an dieser Stelle Parallelen zu Emeralds offen: Das ist immer schon geschmeidiger An-die-Hand-nehm-Ambient gewesen, diejenige Sorte, die den auditiven Zugang nicht durch Dissonanz oder Avantgarde verstellt hat. Dabei in keiner Sekunde seicht oder aufmerksamkeitsheischend, sondern bedächtig und unaufdringlich. Verbietet sich auch, wenn man sich in die subtile Tradition von Brian Eno und Boards Of Canada reiht.

Allen voran dringt "Arpeggiare" mit einer Verve ins Ohr, dass an Nils Frahms in den Himmel ragendes Album "Spaces" erinnert werden muss: Vor allem an den polyphonen Viertelstünder "Says", dessen monumentale Eleganz der musikalischen Übersetzung des Begriffs "himmelhochjauchzend" nachspürt. Der Atem stockt endgültig beim Titelstück, welches in zurückgenommener Reinheit die Zielvorgabe von Hauschildt fast überbetont: Piano-Perfektion. Auf seinem dritten Album verschmilzt Hauschildt zahllose zunächst unwirklich, aber in besonderem Maße unscheinbar wirkende Momente. Diese offenbaren erst nach Ewigkeiten ihren Reiz, so als hätte Hauschildt Stunden damit zugebracht, offensichtlich Erhabenes durch nur ihm bekannte Chiffrierungstechniken zu verfremden. Dabei aber gleichzeitig in der Gewissheit zu sein, dass die eingebauten Verfremdungen nach einem bis vier Dutzend Anläufen des noch so beiläufigen Hörens zünden werden. Garantiert.

(Henrik Beeke)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Arpeggiare
  • A reflecting pool
  • Where all is fled
  • Aequus

Tracklist

  1. Eyelids gently dreaming
  2. Arpeggiare
  3. A reflecting pool
  4. Anesthesia
  5. Vicinities
  6. Edgewater prelude
  7. In spite of time&rsquos disguise
  8. Where all is fled
  9. The world is too much with us
  10. Aequus
  11. Caduceus
  12. Sundialed
  13. Lifelike
  14. Centrifuge
Gesamtspielzeit: 68:05 min

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carpi

2015-12-11 18:33:39

Normanrecords meint 10 /10. Ich muss sie erst nochmal hören. Ziemlich entspannend jedenfalls.

Armin

2015-11-04 21:18:54

Frisch rezensiert!

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