
My Dying Bride - Feel the misery
Peaceville / EdelVÖ: 18.09.2015
Schwarz-Schwarz-Denken
Eines der sichersten Zeichen des Altwerdens ist, wenn die Hits der Jugend plötzlich als Retrospektive in den einschlägigen Publikationen behandelt werden. Frei nach der Rubrik "Damals, als Platte XYZ erschien..." Dabei war sie doch gerade eben noch brandneu! Im Fall von My Dying Bride wird diese Erkenntnis wieder einmal mehr mit dem Holzhammer eingeprügelt. Denn die erste Reaktion auf den Titel des neuen Albums ist für den Kenner eben doch zuerst einmal ein grinsendes "Ach nee. Echt jetzt?". Wenn aber nach kurzer Zeit die Erkenntnis reift, dass auch die Engländer seit nunmehr 25 Jahren die Szene mit ihrem zähflüssigen, melancholischen Doom bereichern, dann bleibt festzuhalten: Wenn es nach einem Vierteljahrhundert auch nur einen programmatischen Albumtitel für My Dying Bride gibt, dann ist es "Feel the misery."
Denn die Band, die Zeit ihrer Karriere ihrem Label die Treue gehalten hat – auch dies eine Rarität im schnelllebigen Business – denkt nicht im Traum daran, irgendetwas an ihrem Grundrezept zu ändern. Es ist somit wenig überraschend, dass Frontmann Aaron Stainthorpe an höchst exponierter Stellung im Tracklisting seinem unlängst verstorbenen Vater mit "And my father left forever" die letzte Ehre erweist. Und wie er das tut. Denn das Strophenriff schwebt bei aller Schwermut, trägt trotz dieser Leichtigkeit und ist schlicht zum Niederknien schön. Bis der Refrain tiefste Trauer versprüht und Shaun MacGowans Violine herzzerreißend dazu weint. Das ist bei aller Sperrigkeit derart würdevoll, wie es in dieser Perfektion eben nur My Dying Bride beherrschen.
Perfektion, hieß es eben? Oh nein. Das hieße ja, man hätte das Pulver bereits mit dem Opener verschossen. Und die folgenden 20 Minuten in Form der beiden überlangen Songs "To shiver in empty halls" und "A cold new curse" geraten zu einer derart überragenden Reminiszenz an die frühen Jahre, dass man glauben könnte, wir hätten wieder 1993 und das Album hieße "Turn loose the swans". Das ist nicht nur vertonte Tristesse, sondern ein Wechselbad aus Death-Metal-Raserei und Finsternis. Wer sich auch nur ansatzweise in diese Welt herabwagt, spürt spätestens beim sinister geflüsterten Schlusspart von "To shiver in empty halls" selbige am ganzen Körper. Jedoch nur, um sich von "A cold new curse" vollends in den Abgrund herabziehen zu lassen. Ist der Kamin nur zu gut gefüllt oder wird es plötzlich tatsächlich wärmer? Und woher kommt der Schwefelgeruch?
Es ist schon erstaunlich: Auch auf dem nunmehr zwölften Album variieren die Nordengländer nicht nur wie eingangs erwähnt das Bandkonzept, sondern auch den Sound höchstens in homöopathischen Dosen. Und doch gelingt es ihnen Album für Album, ihre ureigene Mixtur aus Doom, Death und immer wieder kaum greifbarer Finsternis so aufzubereiten, dass zu keiner Zeit der Eindruck entsteht, sie könnten sich in irgendeiner Form wiederholen. Mehr noch: Es gelingt My Dying Bride Album für Album, aus dieser Essenz Songs zu schreiben, die mit jeder Note Spannung erzeugen, mitreißen, faszinieren. Hinzu kommen Lyrics, die zu keiner Zeit weinerlich wirken, sondern schlicht und lakonisch Düsternis ohne Ausweg prophezeien. Für fröhlichen Träller-Pop sind andere zuständig – My Dying Bride sorgen für den Soundtrack zur Dunkelheit.
Highlights & Tracklist
Highlights
- To shiver in empty halls
- A cold new curse
- I almost loved you
Tracklist
- And my father left forever
- To shiver in empty halls
- A cold new curse
- Feel the misery
- A thorn of wisdom
- I celebrate your skin
- I almost loved you
- Within a sleeping forest
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MD
2015-10-31 21:06:30
Für mich dieses Jahr bisher das beste Album ^^
Armin
2015-10-28 21:19:46
Frisch rezensiert!
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