Beach House - Thank your lucky stars
Bella Union / [PIAS] Cooperative / Rough TradeVÖ: 16.10.2015
Wünsch Dir was
Was habt Ihr eigentlich am Abend des 07. Oktober 2015 gemacht? Vielleicht auf der Couch gelegen und ein Buch gelesen? Mit Freunden am Telefon gequatscht, Euch vom Fernsehprogramm berieseln lassen, aus dem Fenster geschaut und dem Sommer nachgeweint? Womöglich habt Ihr ja auch einfach nur entspannt bei einer Tasse Tee im Sessel gehockt, mit einer Decke auf den Beinen und Kopfhörern auf den Ohren, während "Depression cherry" auf dem Plattenteller rotierte. Das neue Werk von Beach House war gerade erst ein paar Wochen alt, mittlerweile etwas gereift, aber noch nicht ganz angekommen. Nebenher habt Ihr ab und zu auf Euer Handy geschaut, dann das Notebook auf den Schoß genommen, um Eure Mails zu checken. Und wenn man eh schon online ist, kann man auch gleich mal schauen, was es Neues in der Musikwelt gibt. Da stand sie dann, diese Nachricht, deren Vorbeben zuvor über Stunden für Gerüchte gesorgt hatte, aber dann doch weitaus überraschender war, als man es sich hätte vorstellen können.
Rund sechs Wochen nach "Depression cherry" würden Victoria Legrand und Alex Scally also ihr neues Album "Thank your lucky stars" veröffentlichen – zunächst digital, anschließend auch auf CD und LP. Die Songs seien zur gleichen Zeit entstanden, hätten sich für die Band aber gefühlsmäßig anders entwickelt, sodass man sich für einen schnellen Nachfolger entschieden habe. Das klingt kurzzeitig nach Resterampen-Sammlung – tatsächlich hatte sogar ich als bekanntlich größter Fan der Band anfänglich Bedenken, wenn auch nur ganz kleine, irgendwo im Unterbewusstsein: Konnte das gut sein, so kurz nach dem letzten Album gleich ein neues rauszubringen? Klar waren sie aber unbegründet, diese negativen Gedanken. Schon bei den ersten Tönen von "Thank your lucky stars" ist schnell klar, dass es sich wirklich um ein eigenständiges Opus handelt, das stellenweise etwas düsterer als sein Vorgänger ist. Es war sicher eine gute und richtige Entscheidung, die Songs beider Alben voneinander zu trennen. War "Depression cherry" die Vertonung eines gerade beendeten Traums, fängt "Thank your lucky stars" jenen Moment ein, in dem man bereits hellwach ist und aus dem Fenster in die tiefdunkle Nacht schaut – Sternschnuppen inklusive. Und was macht man, wenn man solche sieht? Man wünscht sich etwas. Es ist wohl überflüssig zu sagen, dass Beach House mit ihren neun neuen Songs selbst bereits so einige Wünsche erfüllen.
Über den "Single-Finder" auf ihrer Homepage präsentierten sie in der Woche vor Erscheinen drei der neuen Stücke, darunter auch das verzerrte "One thing". Ein gleichmäßiger Rhythmus baut sich auf, E-Gitarren schrammeln sich sanft ihren Weg ins Gehör, Legrands hypnotischer Gesang klingt nach einer merkwürdigen, kaum fassbaren Mischung aus launig und launisch: "Closer now in the mirror / Your reflection, my reflection / Growing nearer / Pressure / Oh, the pressure in confession / Hallelujah", sinniert sie, zieht dabei das letzte Wort in die Länge und scheint jede der vier Silben nachdrücklicher zu betonen. Etwas klarer, aber auch nostalgischer – mit einem unüberhörbaren Hang zur Traurigkeit – gibt sich "She's so lovely", wohingegen "Common girl" schon fast als bittere, wenn nicht sogar bitterböse Abrechnung durchgeht: Begleitet von gespenstischen Orgelklängen direkt aus dem Albtraum-Land zeigt Legrand ihre Krallen und Beach House den vielleicht offensichtlichsten Disstrack ihres bisherigen Schaffens. Das ist weitaus näher dran am selbstbetitelten Debüt von 2007 als an allem nach "Teen dream" – und genau das ist wohl auch die Absicht hinter "Thank your lucky stars".
Klar ist, dass sich Beach House im Laufe von mittlerweile sechs Alben nicht grundlegend verändert haben. Dennoch ging mit dem 2010 veröffentlichten "Teen dream" eine Art Wechsel einher. Das Duo aus Baltimore war fortan kein reiner Insider-Tipp mehr, die Songs wurden zugänglicher, der Sound offener. Schon mit "Depression cherry" wollten sie wieder etwas zurück zu ihren Wurzeln, mit "Thank your lucky stars" ist der Schritt vollbracht. Nicht nur im melancholischen "The traveller" verweigern sie sich dem Höhepunkt oder dem einen großen Aha-Moment, sondern strecken diesen lieber auf die gesamten vier Minuten aus, während Scallys Arrangements in perfektem Einklang mit Legrands Gesang stehen. Das darauffolgende Album-Highlight "Elegy to the void" nutzt sogar seine kompletten sechs Minuten aus, um sich langsam aufzubauen, Stück für Stück, Schicht für Schicht, Welle für Welle – die Nacht ist vorbei, die letzten Sternschnuppen längst gezählt, die Helligkeit des Tages erfüllt langsam den Raum. Und Beach House? Die lehnen die Einfachheit und Eingängkeit weiterhin ab, lassen ihren morbiden Gedanken freien Lauf und sorgen mit einem dezenten E-Gitarren-Solo für einen der schönsten musikalischen Augenblicke des Jahres. Damit kann auf "Thank your lucky stars" vielleicht nur noch der gotische Abschlusswalzer "Somewhere tonight" mithalten, der so sehr nach Abschied klingt, dass es körperlich schmerzt – und der zugleich das rabenschwarze Pendant zum weißen Schwanensee-Finale "Days of candy" auf "Depression cherry" zu sein scheint. Ob uns Legrand und Scally noch einen letzten Wunsch gewähren? Er liegt schließlich klar auf der Hand.
Bis bald, Beach House.
Highlights & Tracklist
Highlights
- One thing
- Elegy to the void
- Somewhere tonight
Tracklist
- Majorette
- She's so lovely
- All your yeahs
- One thing
- Common girl
- The traveller
- Elegy to the void
- Rough song
- Somewhere tonight
Im Forum kommentieren
Rote Arme Fraktion
2021-05-10 22:13:42
Yep, auch mein Highlight.
Möchte die gerne nochmal Live sehen. Damals in Amsterdam war es magisch. Wie Magic Mushrooms zu nehmen...
Gordon Fraser
2021-05-10 20:39:21
"Somewhere Tonight" ist echt ein grandioser Closer.
MopedTobias (Marvin)
2021-05-10 20:32:03
"Elegy to the void" ist so gut, meine Güte.
Ituri
2021-05-10 20:07:14
Es ist ein großartiges Album geworden. Ich war damals skeptisch aufgrund eines möglichen "Schnellschusses" oder einer "Ausschussware". Aber alleine die B-Seite der Schallplatte hebt einen Zuhörer doch in himmlische Sphären mit Traveller, Elegy to the Void, Rough Song und dem Closer schlechthin Somewhere tonight. Kann man ein Album schöner beenden? Nein.
MopedTobias (Marvin)
2017-10-18 16:43:45
Days of Candy ist wirklich riesig, mein Lieblingscloser von ihnen.
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