Wanda - Bussi

Vertigo / Universal
VÖ: 02.10.2015
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Mit der Hand im Schritt

"Elvis hat den Körper befreit – Bob Dylan den Geist", so erklärte einst Bruce Springsteen das Phänomen Dylan und das Wunder Presley – als einer, der genau zwischen den Stühlen stand; mit Köpfchen, aber breitbeinig. Springsteen also als Hybrid zweier Welten, der intellektuellen und jener der niederen Instinkte. Wo sich manch anderer (Hamburger Indie-Label-Gründer) im Zeitgenössischen, Deutschsprachigen krampfhaft versucht zum "Boss" hochzustilisieren, da stoßen die Wiener von Wanda ganz naturgemäß in die Lücke. Zu klug fürs Prekariat, aber auch zu eitel mit der eigenen Räudigkeit: Das nennt man dann Bohème. Im Notfall wird da schon einmal das eigene Hirn verleugnet – Style geht manchmal einfach über Denkvermögen. Und das ist so ehrlich, dass man Wanda, allen voran den namensgebenden Frontmann, seit dem Erscheinen ihres Debüts "Amore" sowas von abfeierte. Und das weit über die Grenzen des Plattentests.de-Kosmos hinaus.

Nun präsentiert der österreichische Fünfer sein Zweitwerk, um nur kurz nach dessen Ankündigung zu verlautbaren, dass Album Nummer Drei auch schon im Kasten ist. Die Gegenwartsmusik nun aber nennt sich "Bussi" und ist kein zweites "Amore" geworden. Freilich wird noch wild ejakuliert und im Video zur Erstauskopplung "Bussi Baby" taucht Marco Michael Wanda sogleich ganz und gar zwischen den Beinen einer überdimensionalen Dame ab, insgesamt aber erscheint die Darbietung Wandas weniger rauflustig, wenngleich gleichermaßen keck. Auch musikalisch schlägt sich die neue Gangart nieder: Im Opener "1, 2, 3, 4" schaffen die Wiener einen der erwartbareren Singalongs, stibitzen aber auch den Chor von "Sgt. Pepper's lonely hearts club band" und begehen ein kleines, ganz anderes "California dreamin'" – in einem "schwarzen Kreis aus Opium" und jeder Menge Schnee.

Die zweite Vorab-Single namens "Meine beide Schwestern" rekreiert die vortäglichen Erinnerungen an den Suff, an die Kurzzeitliebe, deren Festigung so schön und doch so unrealistisch ist. Mit ausführlichem Gitarren-Solo und einer guten Portion des liebgewonnenen Schmäh-Gekeifes, bleibt der Track dem verlangsamten Zweivierteltakt treu und offenbart, wie Punk in gemächlich bestens funktioniert. Mit "Gib mir alles" wagen Wanda einen gelungenen Ausflug in den Funk und lassen in "Kein Herz im Hirn" die Geigen aufspielen. Letzteres ist das textlich wohl genialste Stück der Platte: "Ich verliere sicher nicht mein Herz und mein Hirn / Und auch nicht meinen Durst", gibt sich Marco Michael Wanda störrisch, und erklärt seinem Gegenüber "Du hast sicher kein Herz im Hirn / Ist auch Wurst", oder besser: "Is a wurschd." Und dazu ein saftiges "Geh scheißen!" an diejenigen Kopfwichser, denen aufgrund ihrer Ignoranz gegenüber dem Bauchgefühl die Akzeptanzfähigkeit flöten gegangen ist.

Genauso mit dem Annehmen und Abfinden beschäftigt sich "Nimm sie wenn Du's brauchst": Der Sänger, seinerseits in Bologna, überlässt sein Mädchen dem Bekannten – "besser so, als dass sie sich verrennt." Wahre Liebe heißt auch loslassen und so – ein starkes Ding. Nach gut 40 Minuten Spielzeit drängt sich aber noch eine Frage ganz brennend auf: Wo zum Geier ist Thomas? Der imaginäre Freund Marco Michaels, der auf "Amore" noch so häufig auftrat und das Geschehen erquickte, scheint verschollen. Dafür hat sich Andi ins Geschehen gemausert: Ein von Selbsthass zerfressener Tunichtgut, der in "Andi und die spanischen Frauen" den Jungs von Wanda allzu deutlich vor Augen führt, wie ein Leben besser nicht zu führen ist. Dies eben ist das Schema, welchem Wanda stets treu bleiben: Zuhören, Schlüsse ziehen, mit den Schultern zucken und weitergehen. Immer mit der Hand im Schritt. Weil die Natur eben will, dass sie dort verweilt.

(Pascal Bremmer)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Meine beiden Schwestern
  • Nimm sie wenn Du's brauchst
  • Kein Herz im Hirn

Tracklist

  1. 1, 2, 3, 4
  2. Meine beiden Schwestern
  3. Bussi Baby
  4. Lieber dann als wann
  5. Gib mir alles
  6. Nimm sie wenn Du's brauchst
  7. Alarm!
  8. Mona Lisa der Lobau
  9. Das wär schön
  10. Sterne
  11. Andi und die spanischen Frauen
  12. Kein Herz im Hirn
Gesamtspielzeit: 40:23 min

Im Forum kommentieren

Cade Redman

2020-06-19 21:21:52

Ich verstehe das in etwa so, dass die Beziehung des lyrischen Ichs zu seiner Freundin nicht mehr gut funktioniert und er gekränkt und voller Herzschmerz ist. Und während er nun weit weg ist, "überlässt" er sie praktisch seinem Nebenbuhler. "Steck sie ein wie 20 Cent" klingt etwas herabwürdigend. Möglicherweise ist er in dem Moment auch betrunken.





Die Beziehung funktioniert nicht mehr gut und da er jetzt weit weg von ihr ist, "überlässt" er sie seinem Nebenbuhler.

mIsland

2020-06-19 20:45:15

Fordert "Nimm sie wenn du's brauchst" eigentlich 'nur' dazu auf, die Lage einer jungen Frau auszunutzen oder geht das schon in Richtung Vergewaltigung?

Ziemlich krasse Aussage jedenfalls, ist mir damals gar nicht so aufgefallen. Bin mir ziemlich sicher, dass so ein Song heute nicht mehr veröffentlicht werden könnte.

Menikmati

2020-04-04 14:21:15

Genau aus diesem Grund halte ich die Niente für ihre beste. Dort gelingt es ihnen, dieses Muster aufzubrechen und sie beweisen, dass sie mehr können als Strofe, Refrain, Strofe (0043!)

The MACHINA of God

2020-04-04 14:09:43

Ähm. Echt? Komplex? Was ist da genau komplex? Und wo ist das total anders als "Amore"?

Mister X

2020-04-04 13:39:15

Also ich finde das Album großartig. Nochmal komplexer als der Vorgänger. Ich höre da nichts aus dem Erstling heraus.

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