Johnny Cash - American IV: The man comes around
Lost Highway / American / Island Mercury / UniversalVÖ: 04.11.2002
Die schwarze Eminenz
Eine brüchige Stimme erklingt und verkündet dramatische Zeilen. Binnen weniger Sekunden zieht eine apokalyptische Atmosphäre auf, bis plötzlich eine lebhafte Gitarre einsetzt. Unwiderstehlich schrammen die Finger über die Saiten und führen den dunklen Gesang in eine überraschend schnörkellose Bridge. "The man comes around", gleichzeitig Johnny Cashs erster wirklich neuer Song seit vielen Jahren und Titelstück seines jüngsten Albums, verbindet auf unnachahmliche Art düstere Erzählung und melodische Präzision. Ein hypnotischer Fluß, ein philosophischer Ohrwurm, ein Einstieg nach Maß.
Das vierte Album des mittlerweile siebzigjährigen Barden unter der Regie von Rauschebart Rick Rubin zeigt den alten Mann einmal mehr als eindrucksvollen Charakter. Vom Leben gezeichnet, von Krankheiten verfolgt und doch standfest wie eine knorrige Eiche. Mit den finsteren, oft beinahe nackten Arrangements von Gitarre und zerfurchter Stimme drückt Cash dem buntgemischten und doch durchweg geschwärzt erstrahlenden Ensemble fremder Songs seinen Stempel auf.
Neben eigenen Klassikern und denen verwandter Geister wie Hank Williams oder Marty Robbins sind es erneut vor allem die unerwarteten Coverversionen, die den ganz besonderen Reiz von "American IV: The man comes around" ausmachen. Wer hätte gedacht, daß sich der Mann in Schwarz einmal an den Eagles, den Beatles, Simon & Garfunkel oder gar Sting versuchen würde? Daß Nachfahren in Sachen Kleidungsgeschmack wie Trent Reznor (Nine Inch Nails) und Martin Gore (Depeche Mode) unwahrscheinliche Songwriter-Credits auf einer derart bodenständigen Country-Scheibe bekämen?
Und genau dieses "Personal Jesus" funkelt mit ungekannter Kraft. Der stampfende Elektronik-Blues des Originals feiert eine famose Wiederkehr als beschwingter Gospel. Ein tänzelndes Klavier und Cashs leuchtende Stimme amputieren die verruchte Sexualität und verkünden statt dessen ein Halleluja: "Reach out and touch faith." Reznors "Hurt" hingegen, des Bombasts entledigt, ist ein eiskalter Hauch. Weniger glaubwürdig erscheint da schon die versakralisierte Fassung von "Bridge over troubled water", die nicht nur in einer sämigen Orgelpfütze steckt, sondern Cash eher als Hilfesuchenden denn als Trostspender zeigt. Wo doch sein Leiden so deutlich authentischer ist - ganz wie in Hanks altem Tearjerker "I'm so lonesome I could cry", bei dem Nick Cave mit ins Taschentuch schneuzt.
So steckt also auch "American IV: The man comes around" wieder voller Moritaten und Trostpflaster. Rubins Produktion kratzt und hustet dabei ganz wie der kranke Meister, dessen Leidenschaft und Spiritualität dem Tod noch immer ein Schnippchen schlagen können. Da fällt Cashs Stimme ein ums andere Mal um, da übersteuern Gesang und Instrumente, da sperrt sich mancher Moment gegen die Hoffnung, die uns der zehnfache Grammy-Gewinner ja eigentlich einflößen will. Wenn man sich gar mitunter Cashs deutlicher werdenden Sterblichkeit bewußt wird, überrumpelt die heranfliegende Gänsehaut das allzu kritische Ohr. Stagnation auf hohem Niveau wird konzediert. Und am Ende traut man sich gemeinsam mit dem Godfather of Americana den Blick in die Zukunft: "We'll meet again / Don't know where, don't know when."
Highlights & Tracklist
Highlights
- The man comes around
- Hurt
- Personal Jesus
- I'm so lonesome I could cry
Tracklist
- The man comes around
- Hurt
- Give my love to Rose
- Bridge over troubled water
- Hung my head
- First time ever I saw your face
- Personal Jesus
- In my life
- Sam Hall
- Danny boy
- Desperado
- I'm so lonesome I could cry
- Tear stained letter
- Streets of Laredo
- We'll meet again
Referenzen
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