Philipp Dittberner - 2:33
Grönland / Rough TradeVÖ: 18.09.2015
Tretboot in Seenot
In diesem Sommer brauchte es mal wieder nicht viel, um allen Hörern den letzten Nerv zu rauben. Ein bescheidener, monotoner Beat und wenige Zupfer an den Gitarrensaiten halfen immerhin dabei, das Sommerloch mit Geschwätz über den dazugehörigen Text mit Interpretationsspielraum zu umgehen. Schuld sind Philipp Dittberner und Marv mit "Wolke 4". Ersterer schiebt nach Erhalt der goldenen Schallplatte jetzt konsequenterweise sein Debütalbum "2:33" hinterher. Spoiler: Ohne den DJ klingt das Ganze nicht nur melancholischer, sondern auch gleich viel angenehmer. Der Reim von "verlassen" auf "verpassen" wird dadurch aber auch nicht origineller.
Und genau da liegt das Problem. Der Berliner und seine Balladen über die Liebe, das Leben und die Angst vor dem Verletztwerden sind herzlich austauschbar. Gut, "Wolke 4" mag ein netter Hit gewesen sein, der dem einen oder anderen Teenie aus der Seele spricht und Radiomoderatoren Kaffeepausen beschert, aber darüber hinaus ist es vorbei mit der Substanz. Und in einer Zeit, in der man sich vor deutschem Pop mit vorgetäuschter Tiefsinnigkeit kaum noch retten kann, könnte Dittberner genauso schnell von der Bildfläche verschwinden, wie er aufgetaucht ist. Dass sich Songs wie die zweite Single "Das ist Dein Leben" oder "Verlierer mit Stil" verdächtig ähneln, interessiert spätestens dann immerhin niemanden mehr. Lyrische Stolpersteine wie "Ich kenn dich zur Hälfte, nein, ich kenn Dich drei Viertel / Und eigentlich kenn ich Dich überhaupt nicht" sind bis dahin vielleicht auch in Vergessenheit geraten.
Dass neben dem dürftigen Songwriting-Talent auch kein Virtuose an Dittberner verloren gegangen ist, ist doppeltes Pech. Die Akkorde, die er beherrscht, reichen höchstens aus, um alle ein paar Freudentränen vergießen zu lassen, die auch Revolverhelds "Ich lass für Dich das Licht an" für romantisch halten. Im Titelsong, der wohlgemerkt eine Minute mehr in Anspruch nimmt, gesellen sich noch säuselnde Backgroundstimmen dazu und Dittberner dichtet: "Ich will zurück zu Dir und ich hasse mich dafür / Ich weiß, es klingt verrückt: Ich komme nie wieder zurück". Als letzte Rettung müssen wie so oft charmante Xylophonklänge herhalten. Ohne würde der Einsiedler "Tretboot" zwar immer noch als absolutes Positivbeispiel des Albums durchgehen, aber sicher nur halb so schön klingen. Doch ein Tretboot hat im Pop-Meer nun eben leider nicht die größten Überlebenschancen. Da hilft auch kein Xylophon-Anker.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Tretboot
Tracklist
- Vorhang auf
- Das ist Dein Leben
- Neben Dir
- Tretboot
- In Deiner kleinen Welt
- Wolke 4
- Mein Ritual
- 2:33
- Bevor Du gehst
- Verlier mit Stil
- Rausch
- Blinder Passagier
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Pluspuls
2024-01-20 23:07:05
"Das ist dein Leben" hat inzwischen 31 Millionen Aufrufe. Da hat er bei vielen nachhaltig einen empfindsamen Punkt getroffen - bei mir auch.
Der Rest seines Schaffens rangiert allerdings deutlich abseits dessen.
https://www.youtube.com/watch?v=m5vfng33SVE&list=PLI-n-55RUT-_Ej39IlAxon_hOJWeET7cI&index=18
K. K.
2015-11-10 11:47:12
Zutreffende Kritik. Das Dittberner kein virtuoser Instrumentalist ist, ist meiner Meinung nach halb so wild. Manchmal können eingeschränkte Fähigkeiten sogar die Kreativität fördern. Das wahre Problem sind die Pop-Typischen Zwangsreime und die durch Ideenlosigkeit bedingten, völlig inhaltlosen Phrasen... Ich meine, aus der "Wolke 7" eine "Wolke 4" zu machen ist ein ganz netter Aufhänger, weil's irgendwie doch im Kopf bleibt, der Song an sich ist inhaltlich leider trotzdem völlig sinnlos. Das traurige ist, dass sich besonders die scheinbar nervigen Songs (Sam Smith ft. Naughty Boy - La la la) in das Hirn der Leute einbrennen und nicht selten sogar gefeiert werden ... Schade, dass Pop-Musik mittlerweile so ein Einheitsbrei ist (mit wenigen Ausnahmen).
Übertreiber
2015-09-24 13:13:06
OK, vielleicht habe ich etwas übertrieben. Vielleicht nicht "alles" Schlechte, aber viele Symptome sind bei ihm schon drin. Auch bei den Musikshows. Aber das Fernsehen habe ich sowieso aufgegeben.
eric
2015-09-24 12:29:19
Philipp Dittberner steht für alles Schlechte in der deutschen Pop-Landschaft.
Ich kenne nichts von dem Jungen, aber ist alles Schlechte der deutschen Poplandschaft nicht schon in diesen Musikshows im TV vereint, wo sie gegenseitig ihre langweilige Radiogrütze covern? :D
(Ok, hab mir gerade "Wolke 4" angehört. Nicht unbedingt mein Fall, solche Texte)
musie
2015-09-24 11:57:19
ich denke, da widersprechen mir hier noch viele. aber ich mag die lieder von Philipp Dittberner, und ich mag die Texte. im übrigen erachte ich das Grönemeyer-Label als durchaus geschmacksicher, Boy war ja eine gute Wahl.
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