
Caspian - Dust and disquiet
Big Scary Monsters / Al!veVÖ: 25.09.2015
Aus dem Inneren
Wie schwer ist eigentlich instrumentaler Post-Rock? Nein, damit sind weder die Arrangements an sich, auch nicht die Produktion, noch das Erlernen verschiedener Musikinstrumente gemeint. Und schon gar nicht das Gewicht aller Bands des Genres zusammen. Sondern: Wie schwer muss es sein, Emotionen wie etwa Angst, Liebe oder Hass in einem Song zu verarbeiten, der ohne Gesang auskommen muss, also die wörtliche Formulierung dieser Gefühle? Wie hört sich Trauer an? Wie vermittelt man in einer Melodie, dass ein geliebter Mensch fehlt? Wie bringt man die Wut, die Verzweiflung und das Unverständnis – Gefühle, die man verspürt, wenn man einen viel zu früh verstorbenen Freund zu Grabe tragen muss – zum Ausdruck? Die Band Caspian aus dem nordamerikanischen Massachusetts zeigt auf ihrem vierten Album "Dust and disquiet" eindrucksvoll, wie es funktioniert.
Denn das Sextett, das bereits seit 2004 eine feste Größe im Genre ist, hat die Aufnahmen zum Album genutzt, um seine ganz persönliche Tragödie zu verarbeiten: Als Bassist Chris Friedrich im August 2013 unerwartet im Alter von 32 Jahren verstarb, sahen sich die übrigen Mitglieder auf eine harte Probe gestellt. "Dust and disquiet" ist dementsprechend etwas anders, als man es bisher von Caspian gewohnt war, und obgleich die Songs nach wie vor hauptsächlich ohne Gesang auskommen, bricht die Band erstmals ihr Schweigen. Am ergreifendsten wie überraschendsten wirkt das in der Akustik-Ballade "Run dry" in der Mitte des Albums, die schweren Schrittes und voller Melancholie Sekunde um Sekunde verstreichen lässt. Etwas typischer kommt hingegen "Echo and abyss" daher, dessen Gesangspart verhallter und versteckter hinter einem dichten Klangteppich platziert ist, der sich über fünf Minuten aufbaut, um am Ende in sich selbst zu kollabieren.
Noch besser sind Caspian aber nach wie vor, wenn sie die Musik für sich sprechen lassen, aus dem Inneren, ohne Stimme, die das in Worte fasst, was der Hörer ohnehin spürt. Im bittersüßen und von Streichern getragenen Opener "Separation no. 2", der zwischen liebevoller Erinnerung und unerschütterlicher Hoffnung pendelt. Oder in der mit voller Wucht am Kragen packenden Single "Sad heart of mine", die ebendieses mit größter Sorgfalt und Stück für Stück brechen lässt. Oder in "Darkfield", das ein polternder Triumph des Horrors über alles Gute zu sein scheint. Wenn sich das stark arrangierte "Ríoseco" mitsamt Symphonie-Orchester auf fast acht Minuten ausdehnt, um in einem fulminanten Feuerwerk zu enden, weckt das gar Erinnerungen an die Kollegen von Godspeed You! Black Emperor, wohingegen der Titeltrack mit seiner epischen Länge von elfeinhalb Minuten den Sargdeckel nach einer nervenaufreibenden Berg- und Talfahrt endgültig schließt. Denn fast ist es, als hätten Caspian mit "Dust and disquiet" ihre Trauer begraben, um zwei Jahre nach Friedrichs Tod wieder in die Zukunft zu schauen. Möge sie möglichst lang und erfreulich sein.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Ríoseco
- Sad heart of mine
- Dust and disquiet
Tracklist
- Separation no. 2
- Ríoseco
- Arcs of command
- Echo and abyss
- Run dry
- Equal night
- Sad heart of mine
- Darkfield
- Aeternum vale
- Dust and disquiet
Im Forum kommentieren
Leech85
2022-06-29 16:27:29
Heute mal wieder genussvoll gehört.
Nach Tertia für mich ihre beste Scheibe. Beide sind ähnlich aufgebaut und auch ähnlich von der Stimmung her.
Der Schlusstrack kommt zwar nicht an Sycamore ran, ist aber immernoch der Wahnsinn. Rioseco und Arcs of Command so wie Sad Heart of Mind sind ebenfalls grossartig.
Akim
2018-06-09 22:07:17
"Arcs of Command" ist soo gut.
noise
2015-12-13 17:49:55
Ne, sehe ich anders. Gerade dieses Album ist nicht langweilig sondern atmosphärisch.
Kleiner aber feiner Unterschied.
Schwuppe
2015-12-13 15:14:07
Caspian sind öde und dieses Album ändert auch nix daran. Post-Rock der langweiligen Sorte, braucht man nicht.
Mr Oh so
2015-12-13 15:00:33
Warum sollte Post Rock seit 10 Jahren tot sein? Es kommen immer noch in regelmäßigen Abstand super Scheiben raus.
So einfach isses.
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