Autobahn - Dissemble

Tough Love / Cargo
VÖ: 21.08.2015
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Das Ende von Leeds

"It's grim up North", wussten schon The KLF auf dem gleichnamigen Techno-Track aus den frühen neunziger Jahren – und zählten darin insgesamt 16 Minuten lang ausschließlich Orte aus den trostloseren Regionen Englands auf. Unter anderem dabei: Leeds, die Stadt, die besonders musikalisch schon immer für Finsteres stand. Von hier aus trugen etwa The Sisters Of Mercy den Gothic-Rock hinaus in die Welt, wenig später folgten The Cassandra Complex, die diesen Stil mit einer ordentlichen Portion Punk und elektronischer Power versetzten. Rund 30 Jahre später pfeift der Wind im Norden immer noch eisig um die Betonklötze, wie vor einiger Zeit bereits das Quintett Eagulls mit seinem Debüt voll ruppigem, dunkelgrauem Post-Punk unter Beweis stellte. Deren Frontmann George Mitchell empfiehlt die Kollegen von Autobahn – Plattentests.de empfiehlt mit.

Kein Wunder bei einem so wuchtigen, tollwütig um sich beißenden Album wie "Dissemble", das wie ein schwarzer Eisblock aus heiterem Himmel in den Hochsommer seiner Veröffentlichung kracht. Schon bei den unheilvoll rotierenden Tribal-Drums von "Missing in action" gerät der Hörer gewaltig ins Schwitzen: Verstimmt bis ätzend schabende Gitarren verschaffen sich ungehalten Aufmerksamkeit, und was Sänger Craig Johnson in böse grollendem Tonfall an Tod, Teufel und Verderben aus dem Mund fällt, zeugt auch für einen Twentysomething von enormer Frustration. Danach spitzt "Immaterial man" den Basslauf messerscharf an, und "Impressionist " hetzt sich in eine Abwärtsspirale, die irgendwo zwischen These New Puritans' "Elvis" und "California über alles" von Dead Kennedys verläuft.

Die gute schlechte Laune von "Dissemble" wirkt ansteckend: Riffs jaulen gequält auf, Johnson mault sie missmutig an, alle sind zufrieden. Nicht. Wie auch, wenn die Stücke Titel wie "Beautiful place to die" tragen? Überdies versteht es sich von selbst, dass letzterer Song der deprimierenden urbanen Einöde von Autobahns Heimatstadt gewidmet sein muss. In seiner triumphalen Düsternis erinnert das Quintett hier am deutlichsten an die ebenfalls aus Leeds stammenden Red Lorry Yellow Lorry, die Mitte der Achtziger besonders knorrig und kompromisslos zur Sache gingen. "Society" entpuppt sich als allenfalls baufälliges Konstrukt, in dem den Letzten die Hunde beißen, und "Passion" existiert vermutlich nur, solange man als Band eine so unsanft zupackende Platte wie diese macht, um für einen Augenblick die unwirtliche Realität zu vergessen.

Es ist also mehr oder weniger folgerichtig, wenn "Dissemble" mit einem "Suicide Saturday" endet. Dieser bäumt sich zwar immer wieder vorlaut auf und scheint neue Hoffnung zu schöpfen, bricht schließlich aber entkräftet zusammen – immerhin im Bewusstsein, den Hörer in eine gemein zischelnde Schlangengrube von einem Song gezogen zu haben, bevor es womöglich noch langweilig geworden wäre. Gefahr gebannt: Auch leidlich geradeaus stampfende Kracher wie "Ostentation" oder das konsequent rückwärts laufende Titelstück machen natürlich viel zu viel Alarm in der baufälligen Bude, als dass sie die Qualität dieses Albums schmälern könnten. Und so entsteigen Autobahn nach "Deprivation" ihrem Bunker, sehen sich kurz um und kommen zum Schluss: Nee, schön is dat nich hier. Also lieber "Dissemble" gleich noch einmal von vorne hören.

(Thomas Pilgrim)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Immaterial man
  • Impressionist
  • Beautiful place to die
  • Suicide Saturday

Tracklist

  1. Missing in action
  2. Immaterial man
  3. Impressionist
  4. Beautiful place to die
  5. Dissemble
  6. Society
  7. Ostentation
  8. Passion
  9. Suicide Saturday
  10. Deprivation
Gesamtspielzeit: 39:20 min

Im Forum kommentieren

Johnny B. Good

2015-09-01 11:53:33

Autobahn? Geht garnicht!

ColdWaterFlat

2015-09-01 11:43:00

Versteh die Punktzahl auch nicht so wirklich: Die Rezi klingt doch so, das der Thomas von der Platte 'unterhalten' wurde und er sie nochmal anhört. Das ist doch das wichtigste...

Achim

2015-08-28 21:41:27

verstehe die schärfe nicht. sicherlich nicht pilgrims beste rezi (aber die latte liegt auch hoch, er ist schließlich einer der besten hier), aber sie erfüllt voll und ganz ihren zweck.

Achim.

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2015-08-25 22:15:36

Thomas Pilgrim sollte bitte keine Bands mehr besprechen, die (ansatzweise) "dunkle" (you may spell it post punk) oder post-Joy Division mäßige Musik zum Besten geben, besprechen. Das ist ihm nicht gegeben.

Armin

2015-08-25 21:48:35

Frisch rezensiert!

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