Lou Barlow - Brace the wave

Domino / GoodToGo
VÖ: 04.09.2015
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Vedders Vetter

Lou Barlow ist der Oberschluffi im Indie-Business. Könnte man zumindest annehmen, wenn man sich das Cover seiner dritten Soloplatte ansieht: Es ist kaum zu erkennen, wo der Bart aufhört und das Kopfhaar beginnt, seine Augen werden von wirren, antennenartigen Locken verdeckt, wohin er blickt und mit welchen Emotionen ist deswegen nicht zu erkennen. Ganz genau festzustellen ist aber, dass sein T-Shirt seit langer Zeit den Kontakt zum heißen Eisen meidet, fleckig ist und zu kurz. Passend zu dieser sympathischen Absenz jeglicher Eitelkeit, lässt sich "Brace the wave" mit folgenden Adjektiven umschreiben: nackt, reduziert, kleinlaut, intim, unproduziert. Nicht jedes ist ausschließlich als Kompliment gemeint, die meisten aber irgendwie schon.

Für "Brace the wave" nahm Barlow neun meist eher kurze, akustische Stücke auf, die in etwa klingen, als habe sich der Wuschelkopf mit seiner alten Ukulele in die Badewanne gesetzt, den Record-Knopf gedrückt und dann einfach mal darauf los gespielt. Soll heißen: Seinen Songs haftet etwas Unfertiges an, sie klingen wie Skizzen, Fingerübungen, manchmal auch wie spontane Einfälle. Sie bieten für den Hörer folglich ein ganz neues, altes Hörerlebnis: Hier kommt man mal wieder in Kontakt mit Musik, die unkalkuliert wirkt, die ohne Sperenzchen und Extras auskommt, die vielleicht sogar ein wenig naiv ihr Näschen in den Fahrtwind reckt. Mal sagen: Gute-Nacht-Lieder für Erwachsene.

Für eingefleischte Fans seiner Hauptband Dinosaur Jr. stellt sich da vielleicht schon die Frage, ob man ein solches Album überhaupt braucht. Lässig losrodelnde Gitarrensoli findet man in den Stücken ebenso wenig wie windschnittige Refrains. Viel eher nagt Barlow das Fleisch, den Speck und die Muskeln von seinen Songs und präsentiert die Überreste, als das, was sie sind: skelettierte, nackte, leicht klapprige Folk-Songs, die manchmal ein sehr einnehmendes Wesen haben, hin und wieder aber auch ein wenig schläfrig vor sich hin dösen. Ziemlich menschliche Musik also.

Herauszuheben sind vor allem jene Songs, die ihre zarten Melodien mit beiden Händen schützend vor sich her tragen und deren Reduziertheit ihre Stimmung nur noch weiter verstärken: "Moving" überzeugt mit seiner riffbetonten Griffigkeit, über die sich Barlows manchmal hölzern-spröde Stimme legt. Mit einer derartigen Komposition könnte er in wohl jedem Eddie-Vedder-Ähnlichkeitswettbewerb triumphieren. Noch besser ist "Wave", das mit seiner sommerlich-sandigen Stimmung selbst an tristen Novembertagen hitzefrei feiert. Auch im abschließenden "Repeat" lässt Barlow die Sonne aufgehen. Zum Schutz vor dem zu hellen Licht trägt er keine Sonnenbrille, sondern kämmt sich seine braunen Locken vors Gesicht. Oh, Mann: Was ein Schluffi!

(Kevin Holtmann)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Wave
  • Repeat

Tracklist

  1. Redeemed
  2. Nerve
  3. Moving
  4. Pulse
  5. Wave
  6. Lazy
  7. Boundaries
  8. C+E
  9. Repeat
Gesamtspielzeit: 30:14 min

Im Forum kommentieren

Herder

2015-12-30 01:07:12

Ich hatte einige Jahre Metal gehört und kam dann über Pavement, Codeine, Nirvana, Guided by Voices, Sebadoh, Hüsker Dü zum Indie-Rock.

Dir auch einen guten Rutsch und dann wieder im nächsten Jahr.

humbert humbert

2015-12-30 01:00:44

Jeder hat ja seine Scheuklappen. Bei gitarrenlastiger Musik mag ich hauptsächlich amerikanische Bands die vom New Yorker New Wave oder vom Hardcore geschult worden sind. Ich liebe z.B. einfach diesen 'Marquee Moon'-Sound, wenn sich die Gitarren gegenseitig umspielen. Deswegen war meine Indierock-Sozialisation auch Radiohead - ich weiß eine britische Gitarrenband, oh welch Ironie - Mitte / Ende der 90er. Bin halt mehr Popmusik geprägt.
Gute Nacht jedenfalls & einen ebensolchen Rutsch wenn man sich nicht mehr liest.

Herder

2015-12-30 00:35:56

Ah okay, vielleicht dann nicht wirklich meins aber da müsste ich natürlich zunächst mal schauen ;-)
Meistens bin ich dann aber doch eher auf Indie-Rock im etwas weiteren Sinne festgelegt. Ich gebe zwar gerne anderen Genres mal eine Chance, meistens verfängt das aber nicht bei mir.

humbert humbert

2015-12-30 00:28:21

hillydilly geht halt mehr in die Pop/Soul/Mainstreamecke. Indierock kommt da rein gar nicht vor. Das Spannende ist, dass sich der Blog komplett auf neue Künstler spezialisiert. Lou Barlow wird man da kaum finden.

Herder

2015-12-30 00:22:08

Klar, Pitchfork natürlich auch und ab und an Tiny Mix Tapes oder éclat. hillydilly kenne ich nicht wirklich, da muss ich mal draufschauen!

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