Destroyer - Poison season
Dead Oceans / CargoVÖ: 28.08.2015
Funktionstüchtig
Seine Lederslipper versinken im teuren Brokatteppich, in der Brusttasche des weit geöffneten weißen Baumwollhemdes steckt eine Blumenblüte. In der linken Hand hält er ein Glas Rotwein, in der rechten Hand ein Mikrofon: Dan Bejar erscheint uns als einer der großen Romantiker im Pop-Geschäft. Er spielt aber auch mit den Klischees, überzeichnet gerne, provoziert mit seinem Image. Sein letztes, von Feuilleton und Fans gleichermaßen gefeiertes Album "Kaputt" flirtete – untersützt vom vielfach eingesetzten Saxofon – mit allem, was bei Drei nicht auf dem Baum war. Bejar wurde zum ungekürten Meister modernen Soft-Rocks, der zwar oft nicht immer alles ganz ernst meinte, dessen charmantes Augenzwinkern die magische Wirkung der meisten Songs in vielen Fällen aber verstärkte. Für sein neues, mittlerweile zehntes Album "Poison season" schraubt er ein wenig am Sound, auch wenn er sich und seinem Schaffen als Destroyer freilich immer noch treu bleibt. Soll heißen: Es gibt sie wieder, die brodelnde Ironie und die knisternde Romantik, die überkandidelten Streicher und Bläser und die krummen und kruden Geschichten, die man sich eigentlich nicht ausdenken kann. "Kaputt" bleibt in seiner Ästhetik und Kohärenz dennoch unerreicht.
"Poison season" mag dadurch einen schweren Stand haben, aber der Vergleich mit dem meisterhaften Vorgänger wird eben zwangsläufig gezogen. Dass die dreizehn neuen Kompositionen für sich stehen, sollte andererseits aber auch klar sein: Getragener kommen sie daher, wirken in der Instrumentierung ein Stück weit edler und manchmal auch ein bisschen tragikverliebter. Schon der semidramatische Opener "Times Square, poison season I" gibt da die Marschrichtung vor: Fast schon melancholisch sprechsingt sich Bejar durch sepiafarbene Erinnerungsfetzen. "Dream lover" darf dafür umso euphorischer die Bläser aus dem Sack lassen und in die Felle hauen. Solche Uptempo-Nummern schreibt der umtriebige Wuschelkopf sonst nur an den sonnigsten Sonntagen für The New Pornographers, bei denen er als lässiger Sidekick A.C. Newman und Neko Case unterstützt. Die zwingendsten Momente auf "Poison season" sind dann aber die, in denen Bejar die Kontrolle über seine Songs verliert, weil sich die einzelnen Instrumente selbstständig machen und ein herrliches Durcheinander anrichten: Im schmissig-schmalzigen "Forces from above" beispielsweise überwerfen sich die Bläser mit den Streichern, während sich die Percussions von hinten in die wilde Szenerie schleichen und das Zepter an sich reißen. Wer kann beziehungsweise will da schon die Fäden zusammenhalten?
Das ähnlich hyperaktive "Midnight meet the rain" ist nicht nur sehr gelungen, sondern auch eine astreine Revue-Nummer gefangen im Körper eines wortreichen Pop-Songs mit Blasmusik-Fetisch. Wobei, welcher Song auf "Poison season" ist das nicht? Bejar wandelt im Laufe der gut 50 Minuten Albumspielzeit über Schaubühnen und durch fantasievoll gestaltete Papp-Kulissen, gibt den eloquenten Showmaster, der seine blitzblanken Kompositionen ins Bild zerrt und sie freundlich dazu zwingt, in die Kamera zu winken. Klar, dass die Stücke dann hinter seinem Rücken aufbegehren und sich nur zu ungern an die Spielregeln halten: "Archer on the beach" entwickelt sich zum bluesigen Jazz-Popsong, den man sich so auch in den schattigsten Bars einer beliebigen Großstadt vorstellen kann, das gleißende "Bangkok" hingegen könnte auch aus der Feder von Schnulzier Lionel Richie stammen: Hier klingt alles so easy, easy wie an einem Sonntagmorgen. Auch das ruhige "Sun in the sky" geht runter wie Buttercremetorte, so g'schmeidig und gehaltvoll, aber eben auch opulent kommt der Song daher. Kaputt ist hier dann wirklich nicht mehr viel, und selbst wenn es hier und da mal blechern scheppert: Es funktioniert.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Forces from above
- Times Square
- Midnight meet the rain
Tracklist
- Times Square, poison season I
- Dream lover
- Forces from above
- Hell
- The river
- Girl in a sling
- Times Square
- Archer on the beach
- Midnight meet the rain
- Solace's bride
- Bangkok
- Sun in the sky
- Times Square, poison season II
Im Forum kommentieren
Herr
2015-11-09 22:48:07
Sehr schönes Album, tolle Musik!
Allerdinfs ein seltsames Zitat aus der Werbung: "Seine aktuelle Inkarnation erscheint oftmals als akustischer Hinweis auf eine deutliche britische (genau genommen schottische) Sorte des Sophisti-Pop: man hört wahrscheinlich Spuren von Aztec Camera, Prefab Sprout, Orange Juice oder auch The Blow Monkeys".
Hört man die Spuren nun, oder nicht? Wieso wahrscheinlich? Hängt das davon ab wo man gerade sitzt, liegt oder steht?
Also ich habe in allen Positionen versucht, Spuren von Aztec Camera zu hören. Hat nicht funktioniert. Kopfstand habe ich dabei ausgelassen.
Wohingegen schon bei einfachen Geradeauslaufen Spuren von Blow Monkeys zu vernehmen waren.
Was für eine raffinierte Art, zur Gymnastik aufzurufen!
Gordon Fraser
2015-11-09 15:50:57
Besser als "Kaputt" für mich weiterhin nicht, aber ein wirklich gutes Album. Ich bin vor allem erstaunt wie gut die drei "Times Square"-Variationen funktionieren.
Am Sonntag live im Lido, mal schauen ob ich es hin schaffe.
Cosmig Egg
2015-09-16 19:04:17
Sehr gutes Album. Besser als kaputt. Mit 7/10, 2 Punkte zu gering eingestuft imO
~°°~
2015-09-05 21:01:46
Archer on the Beach - viel besser kann man 4:56 Minuten ja nicht füllen. Wahnsinn!
ohaa
2015-09-03 22:18:14
die 7.6 von pitchi ist echt ein witz. zuerst kommt die review viel zu spaet (alben kommen in den usa jetzt auch am freitag) und dann wird die auch noch voellig falsch bewertet. manchmal ist pitchi echt unberechenbar
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