The Good Life - Everybody's coming down
Saddle Creek / CargoVÖ: 14.08.2015
Dr. Jekyll & Dr. Jekyll & Dr. Jekyll
Der musikalische Kosmos von The-Good-Life-Kopf Tim Kasher – ein Erklärungsversuch: Da wäre zum einen die hier besprochene Band. Als Soloprojekt mit elektronischen Einflüssen gestartet, hat sie sich im Laufe der Jahre mit festen Mitgliedern zu einer Institution in Sachen melancholischer Folkrock gemausert. Daneben gibt es noch Cursive, die Formation mit dem emotionalen Brechstangensound, in deren 20-jähriger Geschichte bisher die meisten Lorbeeren für den Tausendsassa aus Omaha abgefallen sein dürften. Und da The Good Life inzwischen kein Soloprojekt mehr sind, veröffentlichte Kasher dann gleich zwei Platten in Solo-Regie. Davon klang eine, nebenbei bemerkt, wie The Good Life plus Flöte, Harfe und Geige und die andere wie Cursive minus Brechstange. So oder so, man bekam in den letzten Jahren zunehmend den Eindruck, dass Kasher sich künstlerisch in den Irrungen und Wirrungen seiner Projekte verlaufen hat. Auch die erste The-Good-Life-LP seit acht Jahren trägt nicht gerade zur Relativierung dieses Eindrucks bei.
Zwar gelingt mit "7 in the morning" ein absoluter Bilderbuchstart im luftigen Folk-Gewand, jedoch wird der Song nach gerade einmal 31 Sekunden von den verzerrten Gitarren der ersten Single "Everybody" niedergemetzelt. Diese klingt zwar schön zackig und frisch, wirkt aber wie ein Cursive-Song, der versehentlich in die Tracklist dieser Platte geraten ist. Das soll auch nicht das einzige Mal sein, dass man verwundert auf das tolle Artwork schaut, um sich zu vergewissern, ob man da gerade wirklich ein Album von The Good Life hört. Das kratzbürstige "Holy shit", das rotzige "Flotsam locked into a groove" und das schludrig eingespielte "Happy hour" hätten ebenfalls eher zur Hauptband gepasst und klingen mehr nach Skizzen als nach fertigen Songs. Was auch gleich zum nächsten Manko überleitet: Die Produktion. "Everybody's coming down" klingt über weite Strecken wie ein Proberaum-Jam und nicht wie ein ausproduziertes Album. Das mag einer Band, die in der Vergangenheit auf Großtaten wie "Black out" oder "Album of the year" mit majestätischen Refrains und opulenter Instrumentierung überzeugt hat, nicht wirklich gut zu Gesicht stehen.
Glücklicherweise haben die vier Musiker, die laut diverser Interview-Aussagen für diese Platte deutlich demokratischer als bisher zu Werke gegangen sind, auch ein paar Lichtblicke auf den Tonträger gepackt. Im schwelgerischen "The troubadour's green room" zählt ein von der Nostalgie übermannter Kasher auf, für wen oder was er seine Lieder singt und liefert dabei sowohl textlich als auch musikalisch das absolute Highlight der Platte ab. Der "Skeleton Song" gefällt mit intensiven Lyrics und Bassistin Stefanie Drootin-Senseney setzt mit markanten Gesangseinlagen wie in "How small we are" einen angenehmen Kontrapunkt zu Kashers Stimme. Auch der letzte Track stimmt versöhnlich: In "Midnight is upon us" heult man kollektiv den Mond an und setzt musikalisch in etwa dort an, wo der Opener unterbrochen wurde. Das lässt allerdings auch Raum für enttäuschte Was-wäre-wenn-Spielchen, denn unterm Strich fallen hier einfach zu viele Attribute weg, für die The Good Life verehrt werden. Momentan besteht der Kasher-Kosmos somit aus drei musikalischen Alter-Egos, die man oft nicht wirklich voneinander unterscheiden kann. Eine Prise mehr musikalische Schizophrenie wäre für die Zukunft sicher ratsam, denn niemand braucht drei Dr. Jekylls.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Everybody
- The troubadour's green room
- Midnight is upon us
Tracklist
- 7 in the morning
- Everybody
- The troubadour's green room
- Holy shit
- Flotsam locked into a groove
- Forever coming down
- Happy hour
- Diving bell
- Skeleton song
- How small we are
- Ad nausea
- Midnight is upon us
Im Forum kommentieren
Gordon Fraser
2015-08-17 17:56:31
Es gibt ein neues Good-Life-Album? Ist völlig an mir vorbei gegangen... Wie der User vor mir schätze ich "Album of the Year" sehr und bin gespannt.
Rote Arme Fraktion
2015-07-01 22:44:10
Album of The Year fand ich damals bombastisch. Hab ich nette Erinnerungen (Wein und Weib) zu.
Armin
2015-07-01 22:21:49
+++ The Good Life [US] – Everybody’s Coming Down +++
Album-VÖ: 14.08.2015, Label: Saddle Creek, Vertrieb: Cargo Records
Seit dem letzten The Good Life-Album „Help Wanted Nights“ (2007) sind handgezählte acht Jahre verstrichen, in denen Tim Kasher, das umtriebigste wilde Kind des Indie-Rock, selbstverständlich alles andere als untätig war.
Es ist gleichermaßen bemerkenswert und logisch, wie nah The Good Life auf „Everybody’s Coming Down“ an Kashers Solo-Werke und seine lärmig-progressive Band Cursive gerückt sind: Dissonante Lärm-Übergriffe demontieren grimmig die Songstrukturen, die Band tobt und wütet; nur Augenblicke später dominieren zarte Harmonie und süßer Schmerz das Bild. Zerrissen wirkt das. Und schonungslos authentisch. Hier stürzen die vielen musikalischen Egos des Tim Kasher in all ihrer Genialität nahtlos in- und aufeinander.
https://soundcloud.com/saddlecreek/the-good-life-everybody
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