Tame Impala - Currents

Caroline / Universal
VÖ: 17.07.2015
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Vom Laichen und Sterben

Deutsch-LK'ler und Studenten der Literaturwissenschaften haben ihn wahrscheinlich längst verinnerlicht, für alle anderen dürfte der folgende Satz erst noch zu seiner wahren Bedeutung finden: In demselben Fluss schwimmst Du kein zweites Mal. Was ein gewisser Frankfurter Bub namens Johann Wolfgang von Goethe schon vor über 200 Jahren wusste, scheint nun auch Kevin Parker zu begreifen. Den Australier beschäftigt das ewige Thema um Beständig- und Vergänglichkeit sogar so sehr, dass er das dritte Album seiner Band Tame Impala darum kreisen lässt: In "Currents" geht es um Veränderung und Selbstfindung. Das Schaffen der eigenen Persönlichkeit im ewigen Wandel der Natur kann ein Abenteuer sein – und manchmal auch ein Ärgernis. So ist das eben als Erwachsener. Das weiß wohl jeder, der nach dem Auspusten von 25 Kerzen auf dem Kuchen keuchend in der Ecke liegt und sich anschließend schweißgebadet fragt, wann die nächste Miete eigentlich fällig ist.

Manche mögen es Quarterlife-Crisis nennen. Fakt ist, dass Parker mit seinen 29 Jahren gerade etwa halb so alt ist als Goethe während der Veröffentlichung des Gedichts "Dauer im Wechsel", dennoch ist das Bedürfnis nach einem ebensolchen Wechsel offensichtlich vorhanden. "Currents", das wird bereits beim ersten Hördurchgang deutlich, ist anders als seine beiden Vorgänger. War das Debüt "Innerspeaker" von 2010 ein kratziges, stellenweise ordentlich polterndes Monster von einem Album und das zwei Jahre später erschienene "Lonerism" eine Psychedelic-Rock-Perle erster Güte – und beide sträflichst unterbewertet, liebe Kollegen Pilgrim und Wehmeier! –, ist das Drittlingswerk von Parker & Co. ungleich poppiger geraten. Das wird nicht jedem auf Anhieb gefallen, dennoch kann man den Charme einiger Songs kaum verleugnen. Wie singt Parker so schön herzzerreißend in der synthiegeladenen Liebeskummer-Ballade "Eventually": "I know that I'll be happier / And I know you will, too." Diese Liebe braucht etwas Zeit, dürfte dann aber umso stärker – oder eben beständiger – werden. Auch wenn es zunächst nicht so scheint.

Dass Parker nach wie vor ein gutes Händchen für Ohrwurm-Melodien hat, bewies er bereits im März mit der ersten Vorabsingle des Albums, die sich zusätzlich als hervorragender Opener in Szene setzt: Nichts in "Let it happen" passiert einfach so, sondern entlädt sich in acht exzessiven Minuten Spielzeit Stück für Stück, um dann doch wieder neu aufzutanken. Genau in jenem Moment, in dem man glaubt, dass es vorbei ist, reißt Parker das Ruder noch mal rum und macht aus zwei Songs einfach einen langen. Pop, Funk, verzerrter Gesang gehen hier Hand in Hand – und das ist tatsächlich erst der Anfang. Tame Impala haben ihre klassischen Pilotenbrillen gegen pinkfarbene Herzgestelle eingetauscht und genießen jeden einzelnen Augenblick in der Sonne. Das hört man deutlich, sei es im Psychedelic-Disco-Highlight "The less I know the better" oder im geballten Dream-Pop-Kitsch von "Yes I'm changing" – in beiden klettert Falsett-Parker die Tonleiter ganz nach oben, schießt mit der Leuchtpistole ein paar Salven in den Himmel und bringt nebenher bunte Schleifchen an den Stufen an. "Happiness is a warm gun", das wussten schon die Beatles. Und der Gedanke, dass Parker und Lennon trotz eines knappen halben Jahrzehnts zwischen ihren Aufnahmen unter dem Einfluss der gleichen Substanzen standen, scheint gar nicht so unrealistisch.

"Reality in motion" lässt die trockene Hitze Australiens dann endgültig hinter sich und verabschiedet sich in die 70er-Jahre-Clubs von New York City und mit dem basslastigen "The moment" geht es auf die Rollschuhbahn – oder gleich auf die Rainbow-Road nebst Super Mario, Toad und Princess Peach. Einen letzten großen Höhepunkt haben sich Tame Impala jedoch für den Schluss aufgehoben: Dass "New person, same old mistakes" nach dem Opener das zweitlängste Stück ist, dürfte kein Zufall sein – ebenso wenig, dass Parker den Kritikern des neuen Sounds hier vorzeitig den Wind aus den Segeln zu nehmen scheint: "I know that you think it's fake / Maybe fake's what I like." Im stetigen Wechsel der Zeit hat der 29-Jährige geschafft, was sich viele wünschen. Er ist standhaft geblieben und hat sich von den Umständen nicht verbiegen lassen, sondern sein eigenes kleines Reich geschaffen. Und lässt alles andere einfach an sich vorbeifließen.

(Jennifer Depner)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Let it happen
  • Yes I'm changing
  • The less I know the better
  • New person, same old mistakes

Tracklist

  1. Let it happen
  2. Nangs
  3. The moment
  4. Yes I'm changing
  5. Eventually
  6. Gossip
  7. The less I know the better
  8. Past life
  9. Disciples
  10. Cause I'm a man
  11. Reality in motion
  12. Love / Paranoia
  13. New person, same old mistakes
Gesamtspielzeit: 51:12 min

Im Forum kommentieren

edegeiler

2020-02-09 23:34:53

Beim Release schon ein paar mal gehört, aber da hat es mich auch nicht richtig überzeugt. Jetzt seit langem wieder komplett.

The MACHINA of God

2020-02-09 23:32:01

Ah ok. Aber kanntest du das Albu schon vorher, oder ist das eine Bewertung nach erstem Hören?

edegeiler

2020-02-09 23:26:24

Ich geh die Top 100 der 2010er Forum-Liste durch (auch im "welches Album hörst Du gerade"-Thread, aber ich dachte ich kopier das auch mal in den jeweiligen Albumthread)

The MACHINA of God

2020-02-09 23:22:40

Platz 88 von was?

edegeiler

2020-02-09 23:21:05

Platz 88:
Tame Impala - Currents

Origineller als "Lonerism", aber wieder keine Offenbarung. Statt Psychedelic Rock gibt es nun poppige Synthie-Ausflüge. Probleme: Songs dauern zu lange, abwechslungsarmer Sound, langweilige Melodien. Bestenfalls aber vibeige Sommermusik. 6,5/10

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