Silverstein - I am alive in everything I touch
Rise / CargoVÖ: 22.05.2015
Brüllabfuhr
Es soll Leser der Bild-Zeitung geben, die über deren Schlagzeilen stets aufs Neue überrascht sind. Gleiches scheint bei den Musikfreunden vorstellbar, die sich kritiklos Album für Album der aufgekratzten Schmusekreischer von Silverstein zulegen. Einer Post-Hardcore-Band, die seit ihrer Gründung zur Jahrtausendwende beharrlich zwischen klammen Polkappen aus Empfindsamkeit und Wut umhergeschlittert ist, ohne sich je dabei einen Deut von ihrem längst abgetauten Genrefleck entfernen zu wollen. Demnach beinhaltet jede neue Platte der stoischen Fünf vor allem panisches Festhalten am Bewährten und so gut wie keine erwähnenswerten Wagnisse. Silverstein steht dran, Silverstein bleibt drin, und das können auch alle hören. "I am alive in everything I touch" räumt folglich zwar ähnlich zuverlässig ab wie die städtische Müllabfuhr Woche für Woche, erscheint in seiner kompositorischen Schockstarre jedoch genauso miefig und vermeidbar.
Haben die Kanadier also trotzdem Recht, weil sie immer noch am schönsten brüllen? Gut, spätestens seit der Single "If you could see into my soul" von 2007 konnte man ihnen einen gewissen Durchrüttel-Charme nicht absprechen, nur ging dieser anschließend meist im Einerlei zunehmend konfliktscheuer Melodien unter. Unter den zwölf neuen Songs mag sich daher wiederum mancher Kandidat für die Playlisten dankbarer Campusradio-Stationen befinden. Doch ob dieser arg normative Funken überseeischer Mittelstandskultur auch in gleicher Stromstärke über den großen Teich springen kann, bleibt mehr als fraglich.
Die blutarmen Wechsel zwischen tobsüchtigem Gegeifer und einschmeichelnder Lieblichkeit in "A midwestern state of emergency", bei "Heaven, hell and purgatory" oder im geringfügig rüder angelegten "Buried at sea", sie alle wirken wie ein handzahmer Sturm im Hasserglas, der seinem aufgesetzten Zorn keinesfalls Liebe entgegenhält, sondern stattdessen Gleichgültigkeit und Inhaltsleere. Die Balladen-Emulation "Late on 6th" zur Halbzeitpause bietet da kaum mehr als weitere Ausflüchte, und selbst das rigideste Stück Emocore dieser Ansammlung von Tristesse namens "Milestone" schmeckt weitaus mehr nach abgelaufenem Popcorn denn nach schmerzgeborener Kunst. Somit bleibt es dem Spätzünder "In the dark" vorbehalten, überhaupt so etwas wie eine knackigere Riffgranate zu zünden. Und selbst die kann man getrost im Hausmüll entsorgen. Liebe Chefredaktion, es gibt genügend aufstrebende Bands, die sich ab dem nächsten Album über diesen freizuräumenden Platzhalter bei Plattentests.de freuen würden. Legt ihnen bitte keine Silversteine mehr in den Weg.
Highlights & Tracklist
Highlights
- In the dark
Tracklist
- Toronto (abridged)
- A midwestern state of emergency
- Face of the earth
- Heaven, hell and purgatory
- Buried at sea
- Late on 6th
- Milestone
- The continual condition
- Desert nights
- In the dark
- Je me souviens
- Toronto (unabridged)
Im Forum kommentieren
Affengitarre
2015-05-20 21:59:27
Ich mochte die früher ganz gerne, aber die machen halt schon seit mehr als 10 Jahren immer die gleiche Musik. Hab die neue Platte angehört, klingt schon recht langweilig. Bei 4 Punkten gehe ich wohl mit.
Armin
2015-05-20 21:56:57
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