The Milk Carton Kids - Monterey

Anti / Indigo
VÖ: 15.05.2015
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Stendhal light

Die italienische Ärztin Graziella Magherini beschrieb mit dem Stendhal-Syndrom 1979 ein Phänomen, das sie bei einigen ausländischen Touristen in Florenz beobachtete: Überwältigt von der Schönheit der Stadt und ihren zahlreichen Kunstschätzen verfielen sie in einen wahnhaften Zustand und mussten psychiatrisch betreut werden. So ähnlich verhält es sich auch mit der Musik der Milk Carton Kids, die ihre neue Platte passenderweise nach dem ebenfalls überwältigend schönen kalifornischen Küstenstädtchen Monterey benannt haben. Schon bei den drei vorhergehenden Langspielern "Retrospect", "Prologue" und "The ash & clay" schufen Joey Ryan und Kenneth Pattengale einen reduzierten und doch handwerklich so kunstvollen Bluegrass-Sound, dass es einem schon mal die synaptischen Sicherungen raushauen kann.

Also erst einmal sammeln und ein paar nüchterne Fakten betrachten: Geschrieben und aufgenommen haben die zwei Kalifornier ihr neues Werk "On the road" im letzten Frühjahr, während einer längeren US-Tour. Als Tonstudio dienten kleine Konzerthallen und die Downtown Presbyterian Church in Nashville, in der etwa die Hälfte der Aufnahmen entstanden. Wer die zwei einmal live gesehen hat, weiß, dass bei ihnen praktisch jeder Auftritt Studioqualität hat. Ihre Finger hüpfen so souverän über die Saiten, dass man ein bisschen in Ehrfurcht erstarrt. Jedes Picking auf Ryans Gibson und Pattengales Martin sitzt, jede Harmonie kommt so sauber daher, wie es andere Künstler bestenfalls mit Autotune schaffen – ein bisschen wie Simon & Garfunkel, aber ohne zu nerven. Gepaart mit dem wunderbar warmen, holzigen Raumklang der gewählten Konzertlocations wird aus "Monterey" ein intimes Diorama Amerikas auf der Suche nach sich selbst.

Der Titeltrack ist eine sehnsüchtige Ballade auf die gleichnamige Stadt, in "Asheville skies" entfachen die zwei mitten im Frühling ein schwermütiges Laubfeuer: "Good god is it November / The leaves burn auburn red" säuseln die zwei über einen langsamen Walzertakt und begeben sich in "Secrets of the stars" auf (quasi-)religiöse Sinnfindung. Ein etwas fröhlicherer Ausbrecher ist "The city of our lady", das mit hüpfendem Takt und augenzwinkernden Country-Sprengseln die Füße ganz sachte zum angedeuteten Line-Dance bewegt. Das politisch eingefärbte "Sing, sparrow sing", das einzige Stück auf dem nur Pattengales Stimme zu hören ist, und „Poison Tree“ beenden "Monterey" wieder in getragener Manier. "I'm a little man / In a little town / It's a little cold / I'm a little down / We get a little angry / A little-bitty stale / A little while longer / We'll dig a little grave", verabschieden sich The Milk Carton Kids gerade noch rechtzeitig, bevor der Kloß im Hals unerträglich wird.

Keine Frage, „Monterey“ ist immer noch gut genug, um den Hörer ordentlich zu entrücken, kommt aber trotz aller handwerklicher Finesse und bezaubernder Melancholie nicht ganz an die Größe seiner Vorgänger ran. Zu einheitlich sind die Songs gestrickt, es finden sich keine herausstechenden Titel wie der urige Bluegrass-Reißer "I still want a little more", die gut gelaunte California-Folk Nummer "Girls, gather round" oder die wunderbar gänsehautinduzierende Mitsing-Hymne "Queen jane", die einem schon mal die ein oder andere Träne über das Gesicht jagen konnten. Aber es muss auch nicht immer gleich die Gummizelle sein.

(Martina Bähring)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • The city of our lady
  • Asheville skies
  • Shooting shadows

Tracklist

  1. Asheville skies
  2. Getaway
  3. Monterey
  4. Secrets of the stars
  5. Freedom
  6. High hopes
  7. Deadly bells
  8. Shooting shadows
  9. The city of our lady
  10. Sing, sparrow, sing
  11. Poison tree
Gesamtspielzeit: 35:24 min

Im Forum kommentieren

desto

2015-11-23 13:38:16

blur blur blur. also vielmehr coxon. stellenweise klingts doch iwie, wie ungeschickt geklaut von coxon. lässt sich spekulieren ob nicht mit milk carton der coffee and tv clip gemüht wird. ich finde es gibt mehr als nur parallelen zu blur/coxon, sollte auch in den referenzen nicht fehlen, denke.

Storytellerwäscher

2015-05-21 00:10:21

Ich finde es bombig!

Armin

2015-05-20 21:56:36

Frisch rezensiert! Meinungen?

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