Ceremony - The L-shaped man
Matador / Beggars / IndigoVÖ: 15.05.2015
Stillstand voran
Ceremony sind zweifelsohne die Musterschüler in Sachen stringenter Entwicklung. Angefangen haben die Kalifornier als Geheimtipp für die paar Wenigen, die mit dem Begriff Powerviolence tatsächlich Musik verbinden konnten, weiter gemacht mit "Rohnert Park", dem Hardcore-Konsensalbum schlechthin und zuletzt haben sie sich mit dem ausgemergelten Sound von "Zoo" bis in die Playlisten der Jan Wiggers dieser Welt gespielt. Stilistische Brüche, die wahrlich nicht jeder nachvollziehen kann und konnte inklusive.
Mit "The L-shaped man" vollzieht die Band um Säger Ross Farrar diese Brüche nun auch inhaltlich, schließlich hat dieser sich hier eine schmerzliche Trennung vom Leib geschrieben und in Musik gegossen. Wer aus diesem Schreibanlass aber eine Rückkehr zur keifenden Wut alter Tage heraufbeschwören will, läuft schwungvoll ins Leere. Schon die ersten Momente, die allein den desillusionerten Klavieranschläge von "Hibernation" und Farrars brüchigem Selbstgespräch gehören verabschieden jeden Rest der Hardcore-Vergangenheit endgültig. Stattdessen dürfen die Shoegaze- und Wave-Elemente in den Fokus rücken, die auf "Zoo" noch bloß angedeutet wurden. Dementsprechend braucht "Exit fears" nur einen stoischen Bass und eine bei Joy Division ausgeliehene Atmosphäre, um seine Hörer in das inhaltliche und musikalische Dunkel von "The L-shaped man" zu ziehen.
Hat man sich dort erst einmal etwas genauer umgesehen, macht sich allerdings doch eine gewisse Ernüchterung breit. Weil das Quintett mit diesem Album zum ersten Mal ausrechenbar geworden ist. Weil man hier einer Band beim Auf-der-Stelle-Treten zusehen kann. Ja, die Bratzgitarren wurden fast vollständig eingemottet, ja Ross Farrar hat seinen "Gesang" tiefer gelegt und ja, diese elf neuen Stücke klingen auf den ersten Blick wieder völlig anders. Und dennoch wird man das Gefühl nicht los, das alles so schon mal gehört zu haben. Weil Ceremony es nicht immer schaffen, die Veränderungen ihres Klanggewands sinnvoll in ihr Songwriting zu integrieren. Weil ihre Songs sehr ähnlich arrangiert sind wie noch 2012, nur eben mit weniger Krach. Auch deswegen gerät mit diesem Album eine Entwicklung ins Stocken.
Dementsprechend ist "The L-shaped man" genau dann am besten, wenn es seine Hörer überraschen kann. Mit dem in unendliche Langsamkeit verschleppten "Your life in America", das eine bisweilen brutale Beklemmung verbreitet. Oder mit "The separation", dem musikalsich wohl bislang fröhlichsten Song, den diese Band jemals auf veröffentlicht hat. Beinahe fluffiger Indierock wird da geboten, der von Farrar gekonnt immer wieder mit der Frage "Can you measure the loss?" konterkarikiert wird. Und wenn "The understanding" ganz am Ende mit den Worten "Baby, say that it's over" den Schlussstrich zieht, geht das doch so nahe, dass man die Standardkost, die hier oftmals geboten wird, beinahe vergisst. Der Stillstand klingt immer noch ziemlich gepflegt.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Exit fears
- The separation
- The understanding
Tracklist
- Hibernation
- Exit fears
- Bleeder
- Your life in France
- Your life in America
- The separation
- The pattern
- Root of the world
- The party
- The bridge
- The understanding
Im Forum kommentieren
Unbedingt
2015-05-21 12:38:13
reinhören. Pitchfork und PT irren in ihren Bewertungen ziemlich. Klare 8/10.
eric
2015-05-21 10:19:43
Wundert mich, dass Pitchi bei dieser Band so kritisch ist, müsste eigentlich ihre Schiene sein. Auch "Zoo" haben sie damals mehr oder minder abgewatscht, ich fand die klasse. Werde in die neue in jedem Fall reinhören.
-dreamseller-
2015-05-21 08:28:18
Unbedingt reinhören! Mit Hardcore hat das kaum mehr was zu tun, vielmehr fühlt man sich konstant an Joy Division erinnert. Sehr einfallsreich mag das nicht sein. Aber gut. Bei mir läuft die Platte jedenfalls momentan rauf und runter.
Der Wanderjunge Fridolin
2015-05-21 07:53:05
Auf keinen Fall nochmal reinhören, wenn Pitchfork das so gesagt hat. Auf keinen Fall selbst denken.
saihttam
2015-05-21 02:03:50
ganz schön vernichtendes Urteil von Ian Cohen bei Pitchfork. Hardcore ist ja eigentlich nicht so meine Ecke, aber in diese Band wollte ich eigentlich immer mal reinhören. Sollte ich mich jetzt abschrecken lassen oder taugt das Teil doch was?
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